Jorge Lorenzo  - © Yamaha

© Yamaha – Jorge Lorenzo wird noch in der Nacht per Privatjet nach Barcelona geflogen

Nach den beiden vergangenen Jahren, in denen Yamaha-Werkspilot Jorge Lorenzo in Assen wenig Glück hatte, war der Spanier vor der diesjährigen Dutch TT optimistisch, auf seiner Lieblingsstrecke den ersten Sieg seit 2010 zu holen. Im ersten Freien Training wurde Lorenzo seiner Favoritenrolle gerecht. Bei trockenen Bedingungen sicherte sich der Spanier am Vormittag die Bestzeit und hatte einen großen Vorsprung vor der Konkurrenz.

Doch nach acht Runden folgte am Nachmittag der schockierende Sturz: Im Nassen verlor Lorenzo die Kontrolle über seine Werks-M1 und wurde bei mehr als 200 km/h vom Motorrad katapultiert. Der Spanier verließ die Unfallstelle aus eigener Kraft, hielt sich aber sofort den Arm. Wenig später die Diagnose: Schlüsselbeinbruch. Das Rennwochenende war für den Weltmeister von 2010 und 2012 damit gelaufen.

Zu viel Selbstvertrauen führt zum Fehler
„Ich denke, dass ich in dem Moment zu viel Vertrauen hatte, als ich stürzte“, gesteht Lorenzo. „Ich war sehr schnell und fühlte mich stark. Doch die Bedingungen waren vermutlich nicht gut genug, um so viel Vertrauen zu haben. Ich bog schneller in die Kurve ein, als ich es in der Runde zuvor tat. Ich kam auf eine Pfütze oder hatte Aquaplaning, wodurch das Hinterrad leicht wurde und auf die weiße Linie kam. Dadurch wurde es schlimmer und ich stürzte.“

„Ich flog und als ich aufschlug, brach ich mir das Schlüsselbein. Ich habe nichts gegen den Kurs, aber in dem Fall hatte ich Pech und zu viel Selbstvertrauen. Man muss immer optimistisch sein. Es könnte schlimmer sein. Ich werde versuchen, mich schnellstmöglich zu erholen“, berichtet der momentane WM-Zweite. „Wir müssen das akzeptieren. Es ist Teil des Sports. Wir wünschen ihm alles Gute, damit er bald zurückkommt und stärker als vorher ist“, bemerkt Yamaha-Teamdirektor Massimo Meregalli. Xavier Mir war der behandelnde Arzt vor Ort. „Jorge hat laut der ersten Untersuchung ein Schleudertrauma erlitten. Wir werden ihn nach Assen bringen, um seinen Kopf und seinen Brustkorb zu untersuchen und feststellen, ob er innere Verletzungen hat“, erklärte Mir direkt nach der ersten Diganose.

„Unsere erste Diagnose sagt, dass er am linken Schlüsselbein eine Fraktur und eine leichte Verschiebung hat, die eine Operation nötig macht, um den Knochen zu verbinden“, berichtet der MotoGP-Experte, der zuletzt Andrea Iannone und Bradley Smith behandelte. „Stürze bei mehr als 200 km/h fordern Zeit, damit der Körper andere Verletzungen verarbeiten kann. Morgen kann er reisen und innerhalb von 48 Stunden kann er operiert werden.“ Doch so lange wartet Lorenzo nicht: Yamaha charterte für den verletzten Werkspiloten eine Privatmaschine. Noch in der Nacht wird der Spanier nach Barcelona geflogen werden.

Jarvis hofft auf Rückkehr am Sachsenring
Yamaha steht durch Lorenzos Ausfall unter Schock. Durch die Siege in Mugello und Barcelona war der Titelverteidiger bis auf sieben Punkte an Honda-Pilot Dani Pedrosa herangekommen. Nun haben die WM-Chancen einen herben Dämpfer erlitten. „Er wurde ins örtliche Krankenhaus gebracht, wo er weiter untersucht wird“, erklärt Yamaha-Rennleiter Lin Javis den Kollegen von ‚MotoGP.com‘. „Sie werden eine Computertomographie machen, weil es ein Hochgeschwindigkeits-Sturz war, bei dem er neben der Schulter auch auf seinem Kopf aufschlug.“

„Er hat sich das linke Schlüsselbein gebrochen. Es ist ein ziemlich gerader Bruch. Es gibt zwei Teile. Es gibt eine Verschiebung. Ich erwarte, dass er morgen in Barcelona operiert wird“, so Jarvis. Sollte Pedrosa in Assen gewinnen, dann kommt Lorenzo mit 32 Punkten Rückstand zum Sachsenring. Doch wird Lorenzo bereits zum Deutschland Grand Prix fit sein?

„Es ist noch zu zeitig, um zu sagen, wann er zurückkommen wird. Man weiß ja, wie Fahrer sind. Er wird so schnell wie möglich zurückkommen. Wenn die Operation gut verläuft und sie eine Platte einsetzen, dann ist das nächste Rennen in 14 Tagen das erklärte Ziel. Doch niemand kann etwas sagen, bis die Operation nicht durchgeführt wurde“, weiß auch Yamaha-Rennleiter Jarvis.

Pedrosa: Das Blatt hat sich gewendet
Honda-Werkspilot Pedrosa weiß, wie es ist, mitten in der Saison eine Verletzung zu erleiden. „Das ist nichts Schönes“, betont der Spanier, der zuletzt von schlimmen Verletzungen verschont blieb. Für die weitere Vorgehensweise stellt Lorenzos Sturz keinen Unterschied dar. „Mich beeinflusst dieser Vorfall nicht. Ich schaue immer auf mich selbst und versuche, mit meinem Team das Maximum herauszuholen. Es ist schade für Jorge. Ich wünsche ihm das Beste“, bemerkt Pedrosa.

Valentino Rossi wird im weiteren Wochenende-Verlauf der einzige Yamaha-Werkspilot sein. „Es ist für ihn, Yamaha und das Team sehr schade, weil Jorge um die Meisterschaft kämpft und nur sieben Punkte hinter Pedrosa liegt. Er hat die beiden vergangenen Rennen gewonnen und befand sich in einer guten Situation“, analysiert Rossi. „Er berührte an einer sehr schnellen Stelle die weiße Linie und hatte einen heftigen Sturz. An dieser Stelle ist viel Wasser gestanden, aber ich glaube, dass er die weiße Linie berührt hat.“

„Er brach sich das Schlüsselbein. Wenn er Glück hat, kann er am Sachsenring wieder fahren“, vermutet Rossi. „Er verliert also vielleicht nur ein Rennen. Die Meisterschaft ist sehr lang. Ich wünsche ihm alles Gute. Wir erwarten ihn wieder am Sachsenring.“ Problematisch ist, dass am Sachsenring im Gegensatz zu den meisten Kursen gegen den Uhrzeigersinn gefahren wird. Das wird auch in Laguna Seca, eine Woche nach dem Rennen in Sachsen, der Fall sein.

Marquez bangt um die Show in der MotoGP
„Ich glaube, dass es für Jorge schwierig wird, aber es macht keinen großen Unterschied, wenn die Strecke linksherum führt. Er wird sicher Mühe haben und nicht zu 100 Prozent fit sein“, prognostiziert der Teamkollege des Spaniers. „Normalerweise ist es bei einer Schlüsselbeinverletzung nach zehn Tagen nicht mehr so schlimm. Deswegen glaube ich, dass er auf dem Sachsenring fahren wird. Ich wünsche ihm alles Gute.“

Rookie Marc Marquez würde bei einem längeren Ausfall von Lorenzo zum einzigen WM-Gegner von Pedrosa werden. „An meiner Einstellung hat sich nichts geändert“, betont der MotoGP-Neuling gewohnt kämpferisch. „Es tut mir aber sehr leid für Jorge. Ich lerne immer viele Dinge von ihm. Es ist deutlich besser für mich, wenn er dabei ist. Wir hoffen, dass er schnell wieder gesund wird. Er wird in Deutschland dabei sein. Da bin ich mir sicher.“

„Ich sah den Sturz von der Box aus. Es tut mir sehr leid für Jorge. Man ist an dieser Stelle ziemlich schnell. Er hatte Pech. Er ist im Moment der stärkste Fahrer dieser Kategorie. Wir brauchen ihn hier in der Meisterschaft für die Show“, betont Marquez, der in der Nachmittags-Session die schnellste Zeit fuhr. Einige der Kollegen bemängelten den Grip auf den Randsteinen und der weiten Linie – nicht nur im Nassen.

Randsteine auch im Trockenen ungewöhnlich rutschig
Zu den Kritikern zählt auch Ducati-Werkspilot Andrea Dovizioso. „Die weiße Linie ist hier rutschiger als auf anderen Strecken. Ich werde in der Sicherheitskommission diesen Umstand ansprechen“, hebt der Italiener hervor. „Sie verwenden immer die gleiche Farbe. Ich weiß es nicht. Vielleicht ist der Belag unter der Farbe hier anders. Es war auch schon am Vormittag im Trockenen sehr rutschig. Man hat gesehen, dass die Randsteine sehr rutschig waren.“

„Er hat einen Fehler gemacht“, stellt „Dovi“ fest. „Man muss sehr nahe an die Linie heranfahren, um die ganze Breite der Strecke auszunutzen. Auf dem Motorrad ist es sehr schwierig, zu sagen wo genau der Reifen ist. Das ist auch im Trockenen so. Man weiß nie ganz genau, wo die Reifen sind. Wir müssen so nahe wie möglich an die Linien heranfahren. Manchmal muss man Risiken eingehen und dann können Fehler passieren. Es war ein kleiner Fehler, aber bei hoher Geschwindigkeit. Er hatte Pech.“

Doviziosos Teamkollege Nicky Hayden hatte am Nachmittag auch eine Schrecksekunde: „In der zweiten Runde habe ich eine weiße Linie berührt und sofort gemerkt, dass es besser ist, wenn ich das nicht mehr mache. Es war seltsam“, blickt Hayden zurück. „Schon am Vormittag konnte man sehen, dass die Reifen von der Farbe weiß wurden, wenn jemand über die Randsteine fuhr. Ich weiß nicht, ob die Farbe schon trocken war. Die Strecke selbst war sehr, sehr rutschig. Man hat auch in der Moto2 viele Stürze gesehen. Die alte Streckenvariante bot im Nassen viel Grip, aber der neue Asphalt ist sehr rutschig.“

Schlüsselbein bereits 2005 gebrochen

„Es ist auf den weißen Linien sehr rutschig“, bestätigt Tech-3-Pilot Cal Crutchlow. „Doch genauso rutschig ist es unmittelbar vor diesen weißen Linien. Er berührte vermutlich nicht die weiße Linie, kam aber in den Bereich, der unmittelbar neben der weißen Linie ist und rutschte dadurch auf die weiße Linie. Es hätte jedem passieren können. Schade, dass es Jorge traf.“

„Er wäre an diesem Wochenende erneut derjenige gewesen, den man hätte schlagen müssen. Für die Meisterschaft ist es ebenfalls schade. Einer der Top-Piloten ist für ein Rennen verletzt. Es wird interessant sein, wie er zurückkehrt, weil er nie eine Verletzung oder einen Bruch hatte. Ich kann mich an nichts erinnern“, schildert Crutchlow. Doch es war nicht Lorenzos erste schwere Verletzung. In der Saison 2005 brach sich der spätere MotoGP-Champ in Valencia erstmals das linke Schlüsselbein.

„Ich bin froh, dass es nur das Schlüsselbein ist. Es hätte deutlich schlimmer kommen können. Es war eine ziemlich schnelle Stelle“, hebt Markenkollege Crutchlow hervor. „Er hat den Vorteil, einen Tag mehr Zeit zu haben, weil wir hier einen Tag eher fahren. Er kann direkt fliegen. Es spielen im also ein paar Dinge in die Karten. Zudem weiß man, dass man auch mit einem gebrochenen Schlüsselbein fahren kann. Das gelang mir bereits. Jon Ekerold fuhr mit zwei gebrochenen Schlüsselbeinen. Er hatte sich beide Schlüsselbeine gebrochen und fuhr drei Tage später.“

Crutchlow: Lorenzo ist hart genug
Eine Rückkehr beim Rennen in Deutschland hält auch Crutchlow für realistisch: „Ich bin mir sicher, dass Jorge hart genug ist, um wieder zu fahren, auch wenn er Schmerzen haben wird. Der Sachsenring ist besonders für das linke Schlüsselbein eine anstrengende Strecke. Bergab wird es hart. Er bremst aber nicht so hart mit seinen Armen. Er bringt den Druck durch seine Beine. Ich denke nicht, dass er Probleme haben wird. Es hängt viel von der Art des Bruchs ab.“

Für die Meisterschaft ist Lorenzos Verletzung keine gute Nachricht. „Dani war im vergangenen Jahr in der zweiten Saisonhälfte sehr stark. Er wird sicher die Situation für sich nutzen. Ich denke aber nicht, dass irgendein Fahrer im Moment an die Meisterschaft denkt“, schildert der Tech-3-Pilot, der durch Lorenzos Fehlen in Assen nicht mehr Druck verspürt. „Nein. Ich fahre für Herve (Poncharal, Teamchef Tech 3; Anm. d. Red.). Ich kümmere mich um meine Arbeit und fahre für unser Team“, betont er.

„Ich möchte so weit vorne wie möglich landen. Doch ich versuche auch, die Werks-Yamahas zu schlagen. Ich kann Jorge also auch so schlagen. Es ändert meine Situation also überhaupt nicht“, unterstreicht Crutchlow, der die Sicherheit auf dem Kurs in Holland in Frage stellt. „Es gibt hier einige Dinge, mit denen ich nicht einverstanden bin. Wenn man sich ansah, was mit Louis Rossis Motorrad passierte. Es flog in die Verbindungsstraße. Sie ist an dieser Stelle offen. Da gibt es keine Begrenzung“, kritisiert der ehemalige Supersport-Weltmeister. „Doch es ist ein guter Kurs.“

Text von Sebastian Fränzschky

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