Valentino Rossi © Ducati

© Ducati – Es hat nicht sollen sein: Rossi und Ducati hatten keinen gemeinsamen Erfolg

(Motorsport-Total.com) – Liebe Leserinnen und Leser,

Valentino Rossis Wechsel zu Ducati hat die Motorradwelt vor gut zwei Jahren auf den Kopf gestellt. Auch meine Erwartungen waren groß. Der langjährige MotoGP-Dominator wollte sich nach der Saison 2010 nicht länger mit Jorge Lorenzo rumärgern und dem damals 23-Jährigen erst recht nicht das Arbeitsgerät entwickeln. Damals zweifelte niemand daran, dass die Konkurrenzfähigkeit der Yamaha M1 einzig und allein dem „Doktor“ zu verdanken ist. Entsprechend wenige Experten erwarteten bei Ducati den Verlauf, der schlussendlich eintrat.

In der Debütsaison kam Rossi bei Ducati nicht über ein Podium hinaus, was nicht nur mich schockierte. Immer wieder war es das fehlende Gefühl fürs Vorderrad, das so gar nicht mit dem Fahrstil des auf der Bremse so starken Italieners harmonierte. Doch im Winter 2011/2012 glühten in Borgo Panigale die Köpfe. Mastermind Filippo Preziosi versammelte seine besten Leute zu Dauernachtschichten. Das Ziel lautete: Mehr Gefühl fürs Vorderrad erzeugen, damit Rossi mit der Desmosedici Rennen gewinnen kann.

Um das zu realisieren, trennte sich Ducati vom innovativen Rahmenkonzept der GP11. Der an den Motor angeflanschte Kohlefaserhilfsrahmen, der den Lenkkopf aufnahm, gehörte der Vergangenheit an. Rossi forderte einen Aluminiumrahmen, wie er an der Yamaha M1 und der Honda RC212V zu sehen war. Doch damit nicht genug: Unter der Verkleidung blieb nur wenig beim Alten. Die GP12 hatte mit dem Modell der Saison 2011 nicht mehr viel gemein.

Baut Ducati auf das falsche Motorkonzept?

Seit dem MotoGP-Einstieg 2003 vertraut Ducati auf einen 90-Grad-V-Motor mit vier Zylindern. In der Serie haben die 90-Grad-Twins aus Bologna Tradition. Klar, dass man diesem Zylinderwinkel deshalb auch im Rennsport die Treue hält. Doch damit geht man Kompromisse ein. Das größte Manko des rechtwinklig bauenden Desmo-Aggregats ist zweifellos die Konzentration der Massen.

Honda vertraut seit mehr als zehn Jahren auf V-Motoren mit einem Zylinderwinkel von etwa 75 Grad. Suzuki tat dies bis 2011 ebenso. Durch den schmaleren Winkel bauen die Motoren kompakter und können weiter nach vorne geschoben werden, was das Handling verbessert. Yamaha liegt mit dem Reihen-Vierzylinder-Motor der M1 in diesem Kapitel ganz klar vorn. Bei der Ducati Desmosedici hingegen ist zu wenig Gewicht in Vorderradnähe positioniert.

Ich wäre sehr überrascht, wenn man bei Ducati dem traditionellen Konzept mit 90 Grad weiterhin treu bleibt. Dass die Italiener keine Probleme haben, Traditionen aufzugeben, kann man beim aktuellen Serien-Superbike erkennen, das mit den rasselnden Vorgängern mit Rohrrahmen wenig gemein hat.

Ducati wagt den Neuanfang

Honda und Yamaha vertrauen in der MotoGP seit vielen Jahren auf Aluminium-Rahmen und nutzen die guten Dämpfungseigenschaften dieses bewährten Materials. Ducati hingegen hat langjährige Erfahrungen mit Stahlrahmen und experimentierte einige Jahre mit Kohlefaser. Es ist nicht ausgeschlossen, dass man die gewünschten Flex-Eigenschaften mit diesen beiden Werkstoffen nicht hinbekommt. Doch der Punkt, an dem das Chassis perfekt arbeitet, ist ungleich schwieriger herauszufinden als bei Aluminium, bei dem lediglich die Wandstärke angepasst werden muss, um dem gewünschten Ziel näher zu kommen.

Hintergrund: In der MotoGP kommt es auf den richtigen Flex des Chassis an. Wenn die Ellbogen bei 60 Grad Schräglage auf dem Asphalt schleifen, muss das Chassis die komplette Dämpfung des Fahrwerks übernehmen, da die Federelemente dann nicht mehr ihre Aufgaben erfüllen können. Die Japaner haben in den vergangenen Jahren unzählige Rahmen gebaut, um an den Punkt zu kommen, an dem sie sich jetzt befinden. Dass Ducati gleich beim ersten Rahmen einen Volltreffer landet, war entsprechend naiv gedacht.

Beim Nachsaisontest 2011 in Valencia rückte Rossi erstmals mit einem Aluminium-Rahmen aus. Dabei handelte es sich um eine GP11, die ursprünglich einen Kohlefaser-Hilfsrahmen hatte. Für die Aufnahme des Motorgehäuses wurden Befestigungspunkte geschaffen, um Flex zu generieren. Der Unterschied zur Ur-GP11 war trotz des Aufwandes aber nur sehr gering. Doch bei den Sepang-Tests vor der Saison 2012 hatte Ducati eine komplette Neukonstruktion vorbereitet, die man basierend auf den Erkenntnissen mit der Maschine aus Valencia konstruierte.

Das Vertrauen wächst, der Rückstand bleibt
Der Motor der GP12 wurde um etwa 30 Grad nach hinten gedreht. Aus einem L wurde ein V. Dadurch konnte man etwas mehr Gewicht in Richtung Vorderrad verschieben. Nach dem ersten Sepang-Test war Rossi zufrieden. Es schien, als ob der Konzeptwechsel die gewünschten Fortschritte bringt und endlich mehr Gefühl fürs Vorderrad ermöglicht.

Das tat er auch. Rossi sammelte bei den Rennen der abgelaufenen Saison – verglichen mit 2011 – in den Kiesbetten deutlich weniger Bodenproben. Doch näher an der Spitze war er dennoch nicht. Das ausgeprägte Untersteuern der Ducati hindert ihn am Durchbruch. Beim Anbremsen musste Rossi auch 2012 keinen anderen Pilot fürchten. Doch sobald der Bremshebel gelöst wurde, war der neunmalige Weltmeister im Nirgendwo. Es mangelte der Desmosedici einfach am nötigen Gewicht auf dem Vorderrad.

Zudem fehlte der GP12 durch den Alurahmen plötzlich der Platz für die Airbox. Der Tank musste weiter nach hinten geschoben werden. Damit verschlechterte sich die Gewichtsverteilung bei vollem Tank. Rossi tat sich 2012 schwer, seinen Konkurrenten in den ersten Runden zu folgen. Nicht selten wurde die fahrende Legende nach dem Start von hoch motivierten CRT-Piloten überrascht. Meist gelang es dem charismatischen Italiener erst gegen Rennende, Akzente zu setzen. Doch dann war es in der Regel zu spät für Heldentaten.

Das Phänomen Stoner

„Casey Stoner hätte mit der Ducati auch in der Saison 2012 Rennen gewonnen“, hörte ich aus vielen Mündern. Das sehe ich allerdings anders. Es steht außer Frage, dass der mittlerweile zurückgetretene Australier ein Ausnahmekönner ist. Ebenfalls muss man festhalten, dass Stoner der einzige Ducati-Pilot war, der regelmäßig um Siege kämpfen konnte. Doch bei seinem Titelgewinn 2007 spielten einige weitere Faktoren eine Rolle.

Die Reifen sind in der MotoGP ein entscheidender Punkt: In Stoners WM-Jahr bei Ducati entwickelte Bridgestone die passenden Reifen für die Desmosedici. Heute müssen die Motorräder für die Einheitsreifen entwickelt werden. Honda kann davon ein Lied singen. Mit der Einführung der Einheitsreifen waren die einstigen Seriensieger plötzlich nur noch dritte Kraft hinter Yamaha und Ducati. Doch mittlerweile haben sie ein Motorrad, das mit den Pneus perfekt harmoniert.

Doch auch der Leistungsvorteil der Ducati spielte Stoner 2007 in die Karten. Durch die Desmodromik und die konservative Herangehensweise der japanischen Konkurrenz bei den ersten 800er-Triebwerken war die Desmosedici klar überlegen und führte die Topspeed-Wertungen eindeutig an. Dass sie beim Handling ganz sicher nicht die Benchmark darstellte, konnte deshalb gut kaschiert werden.

Bereits 2007 klagten alle Ducati-Piloten, mit Ausnahme von Stoner, über das Gefühl zum Vorderrad. Doch warum bremste dieses Manko den späteren Weltmeister Stoner nicht ein? Der spektakuläre Fahrstil des auf australischen Dirttrack-Pisten groß gewordenen MotoGP-Stars dürfte der Grund sein. Wer braucht schon Grip am Vorderrad, wenn er sowieso mit dem rechten Handgelenk die Richtung vorgibt? Doch für Rossi war die Charakteristik der Desmosedici mit Sicherheit der Worst Case.

Als bekennender Rossi-Fan muss auch ich eingestehen: Ohne das nötige Gefühl fürs Vorderrad ist der „Doktor“ leider nur Durchschnitt. Bleibt zu hoffen, dass „Vale“ 2013 wieder um Siege kämpfen kann und Ducati den Anschluss an die Spitze findet.

Ihr
Sebastian Fränzschky

Text von Sebastian Fränzschky

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