Stefan Bradl - © FGlaenzel

© FGlaenzel – Stefan Bradl hatte sich mit LCR-Honda mehr Podestplätze erwartet

Stefan Bradl wurde nach dem achten Platz beim Saisonfinale in Valencia von seiner LCR-Crew herzlich empfangen. Mit diesem Rennen ging eine Ära zu Ende, denn der einzige deutsche MotoGP-Starter verlässt nach drei Jahren den Rennstall von Lucio Cecchinello und wechselt für 2015 zu Forward-Yamaha.

Ende 2011 durfte Bradl in Valencia als frischgebackener Moto2-Weltmeister erstmals ein MotoGP-Bike testen.

Er konnte überzeugen und erhielt einen Vertrag für die Königsklasse. Nachdem Bradl Rookie des Jahres wurde, hielt Honda an ihm fest, verlangte aber Podestplätze. In Laguna Seca 2013 schaffte der heute 24-Jährige den Durchbruch: Pole-Position und Platz zwei. Es sollten bis Ende 2014 seine größten Erfolge in der Königsklasse bleiben. Im Qualifying fuhr Bradl noch drei weitere Male in die erste Startreihe, mit einem zweiten Podestplatz klappte es aber nicht. Im Gespräch mit ‚Motorsport-Total.com‘ zieht der deutsche Hoffnungsträger Bilanz.

Frage: „Stefan, wie fällt dein Fazit nach deinen ersten drei MotoGP-Jahren aus?“
Stefan Bradl: „Es ist schon schwieriger gewesen, als ich das erwartet hatte. Ich wusste, dass es kein Zuckerschlecken wird, aber ich habe mir natürlich ein bisschen mehr ausgerechnet, ein paar Podiumsplätze. Es waren viele Ups-and-Downs dabei. Ich habe Verletzungen gehabt, und ich habe einige gute Rennen gezeigt. Aber im Großen und Ganzen hätte ich mir ein paar Podiumsplätze mehr gewünscht, das wäre auf jeden Fall erfüllender gewesen.“

„Aber es ist auch schwieriger geworden durch die Regeländerungen mit der Open-Class. Das ganze Feld ist enger zusammengerückt. Wenn man sich die Zeitabstände mal anschaut – Marquez mal ausgenommen, der hat natürlich auch den Level der MotoGP ein bisschen höher gelegt. Das Ganze ist für uns natürlich auch schwierig umzusetzen, aber wir sind die stärkste MotoGP, die wir je gehabt haben.“

Frage: „Du hast in der Pressekonferenz gemeint, dass es ein wehmütiger Abschied von LCR ist.“
Bradl: „Ja, sicher. Über die drei Jahre sind wir natürlich eng zusammengekommen und verstehen uns alle wirklich sehr gut. Daraus ist natürlich in gewisser Weise auch eine Freundschaft geworden. Wir sind uns nahe gekommen. Da ist es natürlich schon ein komisches Gefühl, das jetzt zu verlassen. Ich bin schon ein bisschen traurig, aber es beginnt ein neues Kapitel für mich, ich freue mich drauf. Und es ist ja nicht so, dass wir jetzt aus der Welt sind, wir sehen uns ja trotzdem nach wie vor.“

Frage: „Gab es im Sommer einen Moment, an dem du gemerkt hast, dass sich das Team und du auseinanderleben?“
Bradl: „Es gibt Ups-and-Downs. Es gibt Momente, da ist es natürlich hart. Aber es gibt auch Momente, da passt es dann wieder. Ich glaube, das ist irgendwie normal im Leben. Das dürfen wir alles nicht zu genau nehmen und überbewerten. Wir diskutieren auch immer wieder mal, aber das ist auch ganz normal in diesem Business. Wir sind immer sehr professionell und respektvoll miteinander umgegangen.“

Frage: „Das Kiefer-Team war sehr familiär und auch LCR ist eine eingeschworene Truppe. Schätzt du eine familiäre Atmosphäre, brauchst du das?“
Bradl: „Ich habe vorher nicht gewusst, wie die Leute hier sind. Natürlich hat sich dann nach kurzer Zeit herausgestellt, dass die Jungs hier sehr familiär und international sind – was ich bis dato nicht kannte. Wir haben uns alle sehr gut verstanden. Soweit ich das jetzt absehen kann, wird das auch beim nächsten Team so sein. Es gibt wahrscheinlich keinen, wo eine frostige Stimmung herrscht, das gehört einfach dazu. Wenn man eine gute Atmosphäre im Team hat, dann macht es einfach mehr Spaß.“

Eigenen Anspruch (noch) nicht erreicht
Frage: „Sportlich gesehen warst du auf der Pole-Position, warst auf dem Podest, bist in der ersten Reihe gestanden. Du bist zwar nicht ganz vorne, aber du hast dich in der MotoGP etabliert, was auch nicht jedem Fahrer gelungen ist.“
Bradl: „Man kann es sehen, wie man will. Du hast recht, natürlich habe ich mich etabliert. Es gab Ausreißer nach oben und unten. Aber ich bin noch nicht der Spitzenfahrer, der ein Werksmotorrad bekommen kann. Und das ist natürlich mein Anspruch. Ich will jetzt auch nicht sagen, dass das nächste Jahr ein Rückschritt für mich wird, weil wenn ich mir die Ergebnisse von Aleix (Espargaro; Anm. d. Red.) anschaue, der hat einen super guten Job gemacht dieses Jahr.“

„Ich hoffe, dass ich die Chance nächstes Jahr nutzen kann und vielleicht ein paar Spitzenresultate einfahren kann. Man wird sehen, wie ich da zurechtkomme, das ist alles Zukunftsmusik. Die Leute verlangen natürlich mehr. Aber wie ich schon gesagt habe: Das ist auch mein eigener Anspruch, und zweitens ist das Level der MotoGP noch mal stark angestiegen.“

Frage: „Was fehlt dir noch, damit du ein Spitzenfahrer wirst, der ein Werksmotorrad bekommen kann?“
Bradl: „Gute Ergebnisse und Konstanz. Das ist der beste Weg, sich für ein Spitzenteam zu empfehlen. Das ist natürlich momentan größtenteils in spanischer Hand, aber ich hoffe, dass das Ganze bald wieder etwas internationaler wird.“

Frage: „Hast du besondere Pläne für den Winter, woran du arbeiten und dich schlussendlich verbessern willst?“
Bradl: „Ich habe mir noch keinen Winterplan gemacht, weil das jetzt mit dem Teamwechsel sicher wieder anders kommt. Ich weiß, dass wir Ende Dezember noch einen Test haben werden. Aber im Großen und Ganzen werde ich schon versuchen, mehr auf dem Motorrad zu sitzen. Vielleicht auch mal in Spanien oder Italien ein Trainingscamp einzurichten, um ein paar Tage Motorrad zu fahren, was bei uns in Deutschland schwierig ist. Aber über die genaue Planung habe ich mir noch nicht so viele Gedanken gemacht.“

Wohnsitz in Deutschland kein Nachteil
Frage: „Hast du durch deinen Wohnsitz in Deutschland einen Trainingsnachteil? Jonas Folger und Marcel Schrötter sind nach Spanien gezogen. Die spanischen Fahrer berichten oft, dass sie fast jeden Tag Motorrad und Dirttrack fahren.“
Bradl: „Ich weiß es nicht. Wenn ich jetzt Marcel und Jonas hernehme, die machen keinen schlechten Job, aber sie haben sich jetzt auch nicht um Welten verbessert, so wie ich das sehe. Sicher haben sie gute Voraussetzungen. Aber ich bin ein Typ, der mit der Kälte eigentlich keine Probleme hat.“

„Ich trainiere im Sommer und im Winter draußen und bin auch gern im Schnee. Es gibt überall Trainingsmöglichkeiten. Natürlich ist es gut, auf dem Motorrad zu sitzen. Ich kann rumfahren, dass es mir Spaß macht, aber ich kann auch rumfahren, dass es mich quält und dass ich mich anstrengen muss. Da den richtigen Weg zu finden, das ist von außen schwer zu beurteilen.“

Frage: „Du hast gesagt, dass das Niveau in der MotoGP so hoch ist, wie nie zu vor. Wie erlebst du das auf dem Motorrad? Wie kannst du das einem Fan beschreiben?“
Bradl: „Ganz harte Arbeit. Ja, du musst dich quälen. Du denkst, du bist am Limit. Und dann schaust du auf die Zeitenliste und siehst einfach, dass dir eine halbe Sekunde fehlt. Dann musst du über dein Limit hinausgehen. Vielleicht nicht über das fahrerische Limit aber im Kopf. Du musst dich überwinden, um noch schneller zu fahren.“

„Manchmal ist das ein bisschen leichter, manchmal tust du dich extrem schwer. Das ist körperlich sehr anstrengend durch die Konzentration und das Adrenalin. Es ist verdammt harte Arbeit, da permanent dranzubleiben. Es ist ja nicht so, dass das immer Spaß macht. Natürlich gibt es Momente, in denen es cool ist und Spaß macht. Aber es ist nicht so, dass ich es genießen kann, permanent so schnell zu fahren. Ich bin einfach mit mir und dem Motorrad beschäftigt.“

Bradl: Einstellung von Rossi faszinierend
Frage: „Viele Fans würden gerne einmal in ihrem Leben Valentino Rossi treffen. Du kämpfst mit ihm auf der Strecke und hast ihn auch schon einige Male im Duell besiegt. Wie ist er im Zweikampf? Siehst du auf der Strecke, warum er so erfolgreich ist?“
Bradl: „Seine Einstellung zum Rennsport ist das A und O, weil er einfach sehr konzentriert ist und sich immer am Limit bewegen will. Es ist faszinierend, weil er schon sehr lange dabei ist und immer auf dem höchsten Niveau fährt – ausgenommen vielleicht die zwei Ducati-Jahre. Aber er hat die Motivation gefunden, wieder an die Spitze zurückzukommen. Sein Hunger ist einfach unglaublich groß. Das macht ihn zu etwas ganz Besonderem in diesem Geschäft. Es gibt nicht viele, die so lange und so erfolgreich dabei sind, aber es ist irgendetwas dabei, was ihn hier hält.“

Frage: „Kannst du dir vorstellen, auch so lange zu fahren?“
Bradl: „Das hängt natürlich auch vom Erfolg ab. Seine Bilanz ist natürlich fast unantastbar, da bin ich weit hinterher. Wenn die nächsten Jahre erfolgreicher werden und ich weiter um Podiumsplätze kämpfen kann, dann ist das klar. Wir werden sehen, was die Zukunft bringt. In diesem Geschäft über mehrere Jahre zu sprechen, ist sowieso unmöglich.“

Frage: „Wie groß war eigentlich der technische Unterschied zwischen deiner Honda und jener von Marc Marquez?“
Bradl: „Diese Frage darfst du mir nicht stellen, weil ich sie nicht beantworten kann. Ich weiß, dass ich seit meiner Abschiedsverkündung keine neuen Teile mehr von Honda bekomme, aber wie groß der Unterschied generell war, das ist für mich schwierig zu beurteilen. Das sieht man auch nicht auf den Daten, ob die elektronisch vielleicht ein bisschen weiter voraus sind. Ich werde es dann sehen, wie groß der Unterschied zu einem anderen Fabrikat überhaupt ist. Ich weiß, dass sie die gleichen Reifen haben, aber was genau drinsteckt und was anders ist, das weiß ich nicht. Aber ich gehe davon aus, dass es einen Unterschied gibt.“

Bradl kann mit Kritik umgehen
Frage: „Sei es bei der Fußball-Nationalmannschaft oder bei Sebastian Vettel in der Formel 1, in den deutschen Medien werden Siege erwartet. Klappt es mal nicht, wird von Krisen gesprochen. Obwohl du Deutschlands bester Motorradrennfahrer bist, wird oft kritisch über dich geschrieben. Wie gehst du damit um?“
Bradl: „Ja, damit habe ich mich schon länger abgefunden. Es gibt sicher Momente, in denen es hart ist. Aber man muss mit Kritik umgehen können in diesem Geschäft, den Glauben an sich nicht verlieren und nach vorne schauen. Ich habe auch schon viel Kritik in meinem Leben einstecken müssen, aber ich weiß, dass ich so viel gar nicht verkehrt machen habe können, denn es gab bis dato nicht so viele MotoGP-Fahrer aus Deutschland.“

„Dieser Sport ist in Deutschland sehr unbekannt und eine große Randsportart, also ist es einfach schwierig, da in den Medien Fuß zu fassen. Meistens sind es sowieso nur die Fachpresse und die Fans, die das verfolgen. Ich habe nie ein Problem damit, wenn andere eine andere Meinung haben, aber ich sage mir immer: Es ist ziemlich einfach, Kritik zu üben und schlecht über einen zu reden, wenn man es gar nicht richtig beurteilen kann – von außen zu lapidar dahergesagt. Damit habe ich mich abgefunden, weil ich ganz gut damit umgehen kann und mir eine dicke Haut habe wachsen lassen.“

Frage: „Was denkst du über den Wechsel der Übertragungsrechte von Sport1 zu Eurosport?“
Bradl: „Schwierig zu beurteilen. Ich weiß nicht, wie viel Aufwand Eurosport betreiben wird. Ich war überrascht, bin aber gespannt. Wir werden sehen, mit welcher Truppe die aufmarschieren und mit welchem Engagement sie die Sache angehen.“

Frage: „Möchtest du abschließend den deutschen Fans noch etwas auf den Weg geben?“
Bradl: „Sie sollen cool bleiben, den Sport hoffentlich ganz stark weiterverfolgen, und auch in harten Zeiten zu den Deutschen stehen. Momentan haben wir einfach nicht so diese erfolgreiche Zeit. Wenn ich zurückdenke: 2011 haben wir den WM-Titel gefeiert, 2012 haben wir den Titel und Siege der deutschen Fahrer gefeiert. Es ist momentan eine harte Zeit, aber wird wieder besser werden.“

Text von Gerald Dirnbeck

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