© Kiefer - Ralf Waldmann wurde 1996 und 1997 Vizeweltmeister in der 250er-Klasse

Der tödliche Unfall von Marco Simoncelli hat die Motorsportszene geschockt. Es wurde allen Beteiligten vor Augen geführt, dass die Gefahr immer dabei ist. Es wurden auch wieder Fragen nach der Sicherheit und der Erstversorgung laut. Generell herrscht die Meinung vor, dass von der Ausrüstung her alles getan wurde. Der Unfall war eine Verkettung unglücklicher Umstände, die leider immer passieren können. Die ehemaligen Motorrad-Piloten Ralf Waldmann und Jürgen Fuchs haben sich ihre Gedanken zu den Vorfällen gemacht.

„Ich war natürlich brutal geschockt. Man hat gleich gesehen, dass es nicht gut aussieht, weil der Helm gleich weggeflogen ist. Das ist eine harte Sache“, sagt Waldmann bei ‚Sport1‘. „Mir geht das auch persönlich nahe, wobei man natürlich sagen muss, dass Marco im Mittelpunkt der Motorradszene gestanden hat. Es gibt weltweit viele nationale Rennserien, wo im Jahr viele Leute sterben.“

„Der Unfall war ein Unfall. Das kann man nicht mit Sicherheitsmaßnahmen verhindern“, sagt der zweimalige Vize-Weltmeister Waldmann. Derselben Meinung ist auch Fuchs: „Ich glaube, es sind deshalb alle so sprachlos, weil man zu diesem Unfall nicht viel sagen kann. Es sind von den Veranstaltern, von den Teams und den Bekleidungsherstellern alle Sicherheitsvorkehrungen getroffen worden.“

„Es gab niemanden, der wirklich einen Fehler gemacht hat. Solche Rutscher passieren oft. Das gehört bei diesem Sport auf hohem Niveau dazu. Über die Verkettung der unglücklichen Umstände kann man wenig sagen.“ Fuchs versucht den Unfall zu analysieren: „Es war sehr, sehr ungewöhnlich, dass bei einem Sturz das Motorrad übersteuert. Er und sein Motorrad sind förmlich in die Motorräder von Colin Edwards und Valentino Rossi getrieben worden.“

Extrem hohe Kräfte

„Dabei sind enorme Energien aufgetreten. Man hat gesehen, dass das Motorrad von Edwards beim Zusammenstoß hinten in die Höhe gegangen ist. Dabei treten derart hohe Kräfte auf. Deshalb war klar, dass da mehr passiert ist. Marco zieht am Hinterrad einen schwarzen Strich. Das Motorrad war also schon im instabilen Bereich.“

„In diesem Fall war es vielleicht kein Vorteil, dass er so groß war. Er war als Fahrer dazu in der Lage, das komplett weggerutschte Motorrad mit Ellbogen und Knie abzufangen. Tragischerweise hat ihn das in die Linie von Edwards und Rossi gebracht. Das war letztendlich auch der Grund, warum sie nicht mehr ausweichen konnten.“

Simoncelli war neben Randy de Puniet der einzige Fahrer, der sich für das Rennen für die weichere Hinterradmischung entschieden hat. Motorrad-Legende Giacomo Agostini hat bereits die Reifen kritisiert. Waldmann sagt dazu: „Mittlerweile haben die Reifen soviel Grip, dass man das Motorrad bei einem Rutscher nur ein paar Meter rutschen lassen muss. Sie müssen die Bremse gar nicht benutzen.“

„Dann hat man wieder Grip. Hier ist der Grip sehr plötzlich wieder gekommen und hat den Richtungswechsel verursacht, den er nicht mehr unter Kontrolle hatte.“ Dieser Richtungswechsel hat Simoncelli genau in die Linie von Edwards und Rossi getrieben. Niemand hat den beiden Routiniers die Schuld dafür gegeben. Dennoch war die ganze Situation sehr seltsam.

„Es war ein sehr ungewöhnlicher Sturz, der so recht selten auftritt. Deshalb waren wahrscheinlich Edwards und Rossi nicht in der Lage anders zu reagieren“, findet Fuchs. „Wenn vor dir ein Fahrer stürzt, regierst du sofort, wie du ausweichen wirst. Da bei so einem Rutscher normalerweise das Motorrad und der Fahrer nach außen wegrutschen, war es eine logische Reaktion, nach innen zu ziehen. Das war leider die falsche Linie, wie sich später herausgestellt hat.“

Die Situation um den Helm

Es bleibt die Erkenntnis, dass es eine unglückliche Situation war, die man kaum verhindern konnte. Als einzige mögliche Fehlerquelle zieht Waldmann Simoncellis Helm in Erwägung, der dem Italiener bei dem Unfall vom Kopf gerissen wurde. „Möglicherweise war der Helm wegen Simoncellis Haaren zu groß“, sagt Waldmann und brachte eine Wiedereinführung einer Technik-Abnahme für die Piloten ins Gespräch. „Vielleicht muss man wie früher mit der technischen Ausrüstung zu einer Abnahme gehen, wo geprüft wird, ob alles den Sicherheitsbestimmungen entspricht.“

Fuchs hat sich mit dem Helmthema näher auseinandergesetzt: „Es gibt erste Hinweise, dass die Kinnriemen abgerissen wurden. Ich habe nachgefragt, weil ich die gleiche Helmmarke trage. Dieser Helm entspricht natürlich einer DIN-Norm. Die Riemen sind ausgelegt auf 370 Kilogramm. Das hat jenen Hintergrund, wenn einmal höhere Kräfte auftreten sollten, dann geht man von schwereren Nackenverletzungen aus.“

„Sie sollen dann reißen, das ist auch so gewollt, um nicht schwerere Verletzungen zu verursachen. Das ist eine schlimme Geschichte. Es muss leider eine punktgenau Landung des Vorderreifens auf dem Helm gewesen sein. Der Reifen bietet extremen Grip. Er verzahnt sich auch auf dem Helm. Marco hat von außen gedrückt und Edwards und Rossi im Doppelpack von innen. Das war eine extrem unglückliche Geschichte.“

Motorradfahrer sind Weltmeister im Verdrängen

Trotz der Tragödie werden die Piloten in Valencia wieder auf ihre Motorräder steigen und wie gewohnt am Limit fahren. Deshalb wird oft gefragt, wie die Profis – auch im Automobilsport – das können? Waldmann hat hier eine klare Antwort: „Wenn man fährt, dann verdrängt man alles. Wenn man an der Strecke ist und das hautnah miterlebt, dann wird man mit der Realität konfrontiert.“

„Es ist Motorsport. Auch auf der Eintrittskarte steht geschrieben, dass Motorsport gefährlich ist. Motorradfahren ist sehr, sehr schön. Ich fahre noch selbst gerne, aber man sieht auch anhand dieser Situation, dass es gefährlich ist. Wir sind Weltmeister im Verdrängen. Das hört sich zwar schlimm an, aber es ist so.“

„Das fängt schon mit einem großen Sturz an. Du steigst hinterher wieder auf und denkst an nichts. Wenn du an die Box fährst und im Fahrerlager mit Leuten sprichst, dann kommt dir das immer wieder in Erinnerung. Aber ich denke, dass das viele beim Fahren einfach ausblenden werden. Wer das nicht ausblenden kann, wird langsam sein. So hart das auch klingt, aber ich glaube das ist so.“

Fuchs sieht die Situation ganz ähnlich: „Ich denke schon, dass dieser tragische Unfall das Saisonfinale überschatten wird. Auf der anderen Seite waren die Fahrer zu 100 Prozent auf ihr Rennen konzentriert. Mit diesem Unfall wurde aber in einem Moment klar, dass es nur eine große Show ist. Es ist ohne Zweifel eine tolle Show, aber die Risiken fahren immer mit.“

„Die Fahrer verarbeiten das auf einem hohen Niveau. Fahrer müssen generell ein gut funktionierendes Risikomanagement haben. Bei Simoncelli hat es schon im Laufe des Jahres Diskussionen gegeben, weil er ein harter Fahrer war. In diesem speziellen Fall war es ein normaler Rennunfall, wie es oft passiert, aber es war natürlich auch eine Verkettung unglücklicher Umstände.“

Text von Gerald Dirnbeck

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