(Motorsport-Total.com) – Das Ducati-Werksduo Marc Marquez und Francesco Bagnaia musste ihre Renntaktik beim Sprint in Brünn umstellen. In der Anfangsphase führte die Startnummer 93 vor der Nummer 63, aber in der fünften Runde verlangsamte zunächst Bagnaia, blickte sich um und ließ sich zurückfallen. Eine Runde später machte Marquez genau das gleiche und gab die Führung freiwillig an Pedro Acosta (KTM) ab.
Beide hatten auf ihrem Dashboard eine Warnung wegen des Mindestdrucks im Vorderreifen. Im Sprint müssen mindestens 30 Prozent der Renndistanz oberhalb des vorgeschriebenen Mindestdrucks gefahren werden. Bei Missachtung wird eine Zeitstrafe von acht Sekunden verhängt.
„In der vierten Runde habe ich gemerkt, dass der Druck nicht ausreicht“, berichtet Marquez. „In der fünften Runde habe ich dann auf der Bremse extrem gepusht, um den Druck zu erhöhen. Ich sah aber, dass es nicht reichte.“
„Deshalb habe ich dann das Gas zugedreht und gewartet, bis der nächste Fahrer – in dem Fall Acosta – kam.“ In der warmen Luft des vorausfahrenden Motorrads konnte Marquez abwarten, bis der Druck im Vorderreifen anstieg. In der vorletzten Runde überholte er Acosta wieder und gewann.
Hatte Ducati vor dem Rennen einen anderen Rennverlauf erwartet? Da Bagnaia von der Poleposition startete, hätte es auch sein können, dass Marquez seinem Teamkollegen in den ersten Runden folgt und dadurch der Druck steigt.
„Nein, das war nicht meine Strategie“, winkt Marquez ab. „Wir hatten beide denselben Reifendruck, aber mein Plan war es, von Anfang an vorne zu fahren und meinen Rhythmus zu finden. Denn im Training heute Vormittag fühlte ich mich sehr gut.“
Dass es überhaupt zu dieser Situation gekommen ist, sieht der WM-Führende nach dem Sprint dennoch entspannt: „Auf manchen Strecken versuchen die Ingenieure, bei den Reifendrücken bis ans Limit zu gehen, weil man so manchmal etwas mehr Performance herausholen kann.“
„Manchmal erhöhen wir den Druck auch absichtlich, weil das in anderen Bereichen hilft. Aber heute ist es eine andere Geschichte. Gestern sind wir nicht im Trockenen gefahren, und der neue Asphalt ist wirklich gut. Es gibt viel Grip – und wir fahren deshalb anders.“
„Der Grip am Hinterrad ist sogar zu gut, und deshalb kann man das Vorderrad nicht mehr so fordern, weil der Hinterreifen zu viel Grip hat. All diese Dinge machen den Job der Ingenieure schwieriger.“
„Ich schätze ihre Arbeit, weil sie immer versuchen, das Beste für uns herauszuholen. Der einfache Weg wäre, den Druck einfach zu erhöhen, und der Fahrer kommt dann schon klar damit. Aber sie versuchen, uns die bestmögliche Performance zu geben.“
„Heute war es wirklich haarscharf am Limit. Wir reden hier von Kleinigkeiten. Als ich im Windschatten war, lag ich schon im erlaubten Bereich.“ Deshalb hatte Marquez keinerlei Sorgen, dass er den Sprint-Sieg durch eine Zeitstrafe verlieren würde.
Falscher Reifendruck im System der Rennleitung hinterlegt
Schon im Parc ferme hielt Marquez fest, dass er laut seiner Anzeige auf dem Dashboard die Mindestrenndistanz im vorgeschriebenen Druckfenster absolviert hatte. Trotzdem wurde zunächst von der Rennleitung eine Untersuchung gemeldet.
Neben Marquez betraf das auch Alex Rins (Yamaha) und Ai Ogura (Trackhouse-Aprilia). In der Regel dauert es lange, bis ein Untersuchungsergebnis feststeht. Diesmal kam sehr rasch die Mitteilung, dass alles in Ordnung sei.
Schließlich gab es von der Rennleitung eine Erklärung der Umstände: „Die Nachuntersuchung der Reifendrücke der drei Fahrer ergab schnell, dass im Warnsystem der Rennleitung ein falscher Mindestdruck hinterlegt war.“
„Daher waren keine weiteren Maßnahmen oder Untersuchungen erforderlich. Alle Fahrer hielten den korrekten Mindestdruck ein.“ Einen Einfluss auf die Warnmeldungen der einzelnen Fahrer während des Rennens hatte das aber nicht.
„Dieses Kontrollsystem ist unabhängig von den Warnsystemen der Teams und während der Session weder für Teams noch für Fahrer sichtbar. Jedes Team verwaltet seine eigenen Parameter und sendet entsprechende Warnungen bezüglich des Mindestreifendrucks an die Dashboards ihrer Fahrer.“
Problem bei Bagnaia ganz anders als bei Marquez
Zunächst hatte es den Anschein, dass bei Bagnaia exakt die dieselbe Situation wie bei Marquez aufgetreten ist. Doch das war letztendlich nicht der Fall. Zunächst hörte sich das Problem bei beiden Ducati-Fahrern identisch an.
„Ehrlich gesagt bin ich nicht die richtige Person, um zu erklären, was heute bei mir passiert ist“, seufzt Bagnaia. „Ich war einfach damit beschäftigt, die Situation zu managen, nachdem ich gesehen habe, dass mein Vorderreifendruck nicht über das Mindestlimit steigt.“
„Also habe ich versucht, mehr Last auf das Vorderrad zu bringen – aber leider hat es nicht funktioniert. Dann habe ich Pedro an einer falschen Stelle vorbeigelassen, und Enea habe ich nicht erwartet – er hat mich mit einer Berührung überholt, und Fabio ist dann auch durch.“
„Damit habe ich die Situation komplett vermasselt. Ich konnte den Reifendruck weiterhin nicht erhöhen, also blieb ich hinter den anderen, in der Hoffnung, dass der Druck steigen würde – aber das tat er nicht. Ich war mir zu 100 Prozent sicher, dass ich eine Strafe bekommen würde.“
Nach dem Sprint, den Bagnaia als Siebter beendete, stellte sich dann heraus, dass sein Problem eine komplett andere Ursache hatte: „Dann kam ich an die Box, schaute auf den Monitor und sah, dass ich nicht untersucht wurde. Ich habe die Situation nicht verstanden.“
„Dann habe ich die Telemetrie geprüft und gesehen: Ab der zweiten Runde war ich über dem Limit. Ich hatte heute also ein Dashboard-Problem – das darf eigentlich nicht passieren. Normalerweise passiert das auch nicht, aber so wie meine aktuelle Saison läuft, kann es eben doch passieren.“
Bagnaia hätte also gar nicht das Tempo drosseln und andere Fahrer passieren lassen müssen. Da Marquez tatsächlich wegen des Reifendrucks langsamer machen musste, hätte Bagnaia eine Chance gehabt, den Sprint zu gewinnen.
Warum hat sein Dashboard einen falschen Wert angezeigt? „Es ist besser, einen Ingenieur dazu zu fragen. Schon vor dem Start waren alle Elektronik-Ingenieure bei mir, weil ich ein Problem mit dem Motorrad hatte. Sie haben versucht, alles korrekt einzustellen – und das ist ihnen auch gelungen.“
„Aber vielleicht ist doch etwas offengeblieben oder war nicht richtig verbunden. Als ich dann losgefahren bin, habe ich gesehen, dass der Druck steigt, und ich dachte, ich hätte alles richtig gemacht – aber es hat am Ende nichts gebracht.“
Text von Gerald Dirnbeck
Quelle, Infos, Hintergrundberichte: www.motorsport-total.com/
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