(Motorsport-Total.com) – Jorge Martin erlitt am ersten Tag der Saisonvorbereitung 2025 eine schwere Verletzung. Es folgte ein Leidensweg voller Stürze, OPs und Klinikaufenthalte, der ihn bis zum Grand Prix von Tschechien Ende Juli vom Asphalt fernhielt.

Jorge Martin steht im exklusiven Interview Rede und Antwort

Seitdem findet der Spanier Schritt für Schritt zur Normalität zurück, auch wenn er betont, dass die zweite Saisonhälfte lediglich eine Vorbereitung auf 2026 sei. In einem Interview mit Motorsport.com, einer Schwesterplattform von Motorsport-Total.com, sprach der amtierende Weltmeister exklusiv über bisher verborgene Aspekte seines Privatlebens und die intensive Beziehung zu seinem engsten Kreis.

Frage: „2024 haben Sie mit einem Satellitenteam die MotoGP-Weltmeisterschaft gewonnen. Glauben Sie, es wurde so gewürdigt, wie es hätte sein sollen?“
Jorge Martin: „Es kommt darauf an, wen man fragt. Ich denke, innerhalb des Fahrerlagers haben die Leute gespürt, was es bedeutet, mit einem Satellitenteam zu gewinnen.“

„Zwölf Leute gegen eine Fabrik mit 200 Leuten. Im Allgemeinen realisieren die Menschen nicht, wie schwierig das ist. Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass das jemals wieder passieren wird. Man könnte meinen, man hat dasselbe technische Material, aber die besten Motoren und die besten Teile gehen natürlich an das Werksteam, denn es ist der Werksfahrer, mit all der Unterstützung hinter sich.“

„Es gibt keinen Vergleich zu einem Privatteam. Von außen betrachtet wurde es definitiv nicht genug gewürdigt, und die Leute begreifen nicht, wie hart es war, das zu erreichen.“

Martin: „Bin jetzt ein besserer Mensch als früher“
Frage: „Was hat sich am Jorge Martin, der 2023 und 2024 um den Weltmeistertitel kämpfte, im Vergleich zu dem geändert, der dieses Jahr durch Verletzungen aus dem Kampf um Rennsiege verschwunden ist?“
Martin: „Die Mentalität. Ich denke, wenn man einen MotoGP-Titel gewinnt oder ein Ziel erreicht, für das man sein ganzes Leben gekämpft hat, ändern sich bestimmte Parameter.“

„Man muss den Sinn finden: Warum mache ich das weiter, wenn das Ziel erreicht ist? Ab da beginnt eine neue Phase: Warum fahre ich Motorradrennen, warum riskiere ich mein Leben? Dann muss man den Grund suchen: für meine Familie, für meine zukünftigen Kinder, aus Liebe zu diesem Sport, weil ich den Druck liebe …“

Frage: „Die Verletzung in Katar und zehn Tage Krankenhaus dort waren ein Wendepunkt.“
Martin: „Alles, was ich mit den Verletzungen durchgemacht habe, hat mich mental sehr wachsen lassen. Wenn du dich von deiner Mutter verabschiedest, weil du denkst, du wirst sterben, macht es Klick im Kopf, und du überdenkst vieles.“

„Der Wendepunkt ist, diese Situation überwinden und wieder auf höchstem Niveau antreten zu können, das Beste aus dir herauszuholen. Denn jetzt bist du nicht mehr besessen vom Gewinnen, sondern davon, dich zu verbessern, ein besserer Fahrer, ein besserer Mensch zu werden. Deshalb denke ich, dass mich das insgesamt zu einem viel besseren Menschen gemacht hat, als ich es früher war.“

Frage: „Sie haben sogar ans Aufhören gedacht. War das nur ein Satz oder haben Sie es wirklich in Betracht gezogen?“
Martin: „Diesmal habe ich nicht überlegt, ob ich aufhören will oder nicht. Die Zweifel betrafen, ob ich überhaupt wieder ein Motorrad fahren könnte. Das ist etwas anderes. Ich wollte nie aufhören, ich wollte immer gesund werden, um wieder fahren zu können.“

„Drei Wochen lang musste ich mich ein wenig von der Welt abkoppeln, alles vergessen, nur an den Strand und aufs Meer schauen. Das war für mich Glück. Es ging nicht darum, ob ich aufhören würde, sondern ob ich wieder schnell sein könnte. In solchen Momenten kommen viele Zweifel auf, es ist eine Zeit der Frustration und Schwäche.“

Wie Martin die Arbeit mit einem Psychologen half
Frage: „Sie haben vor Jahren begonnen, mit einem Psychologen zu arbeiten. Hat Ihnen das vorbeugend geholfen, mit den Verletzungen umzugehen?“
Martin: „Nein. Ich sehe mich als sehr ehrlichen Menschen, ich sage immer, was ich denke. Als ich gefragt wurde, ob ich mit einem Psychologen arbeite, habe ich es zugegeben, und seither ranken sich viele Geschichten darum.“

„Die meisten Fahrer, die einen Psychologen nutzen, haben vielleicht ein Tabu und wollen es nicht sagen, oder sie denken, es sei ein Zeichen von Schwäche. Für mich ist es das Gegenteil: ein Zeichen von Stärke, auch mental besser werden zu wollen.“

„Früher hatte ich wöchentliche Sitzungen, jetzt bin ich ständig in Kontakt. Er ist Teil meines Teams, wie ein weiterer Mechaniker oder ein Trainer – superwichtig.“

Frage: „Wie hat er Ihnen konkret geholfen?“
Martin: „Er hat mich gewarnt, dass die bevorstehende Herausforderung die härteste meines Lebens sein würde. Dass ich nicht zurückkommen und sofort wieder gewinnen würde. Dass ich vom Gewinnen komme und nun auf Platz 18 lande, und das ist nicht leicht.“

„So traf es mich nicht unvorbereitet. Vielleicht hätte ich ohne diese Vorbereitung aufgegeben. Jetzt ist es umgekehrt: 18. im Training zu sein, bringt das Beste in mir hervor.“

Frage: „Nach außen wirken Sie sehr stark, jemand, der genau weiß, was er will und was nicht. Gleichzeitig haben Sie ein sehr strukturiertes Umfeld, das dir viel hilft.“
Martin: „Das Umfeld bedeutet mir alles, besonders in Tiefphasen, wenn du einen schlechten Tag oder ein schlechtes Training hattest und traurig und frustriert ins Wohnmobil zurückkommst. Da ist es wichtig, jemanden zu haben.“

„Jemanden, der weiß, wie er da sein muss. Nicht jemand, der dich sofort aus diesem Moment reißt, denn auch solche Momente braucht man, sondern der weiß, wann er den Schalter umlegen und dich wieder zum Lächeln bringen kann. Von ‚Es lief schlecht‘ zu ‚Warum lief es schlecht?‘. Sei kritisch, aber blicke wieder nach vorn.“

Martins Familie leidet unter Hass in Sozialen Medien
Frage: „Ihr Vater ist Ihr Assistent und immer an Ihrer Seite, bekannt dafür, diskret im Hintergrund zu bleiben. Doch als die Aprilia-Vertragskontroverse aufkam, schrieb er einen Instagram-Post. Hat Sie das überrascht?“
Martin: „Es hat mich nicht überrascht, aber ich wusste nichts davon.“

„Mein Vater ist ein sehr introvertierter Mensch. Die Leute geben Meinungen ab, kritisieren, werfen mit Hass um sich, aber sie merken nicht, wie sehr die Eltern unter dem Hass in den sozialen Medien leiden. Ehrlich gesagt ist es mir selbst nach so vielen Jahren als Spitzensportler egal, ich lache sogar darüber, weil es Unsinn ist.“

„Ich würde mir wünschen, dass die Leute konstruktive Kritik äußern, aber das können sie nicht, und das verletzt meine Familie. Und meine Familie muss es irgendwann rauslassen.“

„Sie können das nicht bei mir tun, weil ich meinem Vater sage: ‚Wenn es dich stört, stört es dich, nicht mich. Lass nicht zu, dass es auch mich stört.‘ Also ist mein Vater in die sozialen Medien gegangen und wollte seine Version erzählen. Aber ich betone: Die Leute merken nicht, wie sehr sie meiner Großmutter, meinem Großvater, meiner Mutter, meinem Bruder schaden. Sie alle leiden darunter.“

Frage: „Ein weiterer wichtiger Teil Ihres Umfelds ist Ihre Partnerin.“
Martin: „Ja, ich denke, eine stabile Beziehung gibt dir auch beruflich einen Extraschub. Weil man ruhiger ist, jemanden hat, der einen unterstützt, mit dem man über gute wie schlechte Zeiten sprechen kann, mit dem man genießen kann. Das ist großartig.“

„Natürlich gibt es in jeder Beziehung bessere und schlechtere Momente, aber auf lange Sicht gibt es dir sehr viel im Leben. Persönlich fehlt es mir mit Maria an nichts, ich bin sehr glücklich mit ihr. Hoffentlich können wird bald heiraten, denn sie ist erst 23, noch etwas früh. Wenn es nach mir ginge, würde ich sie morgen heiraten.“

Frage: „Ein weiterer Pfeiler Ihres Umfelds ist Aleix Espargaro – im Guten wie im Schlechten. Hat er großen Einfluss auf Ihr Leben?“
Martin: „Ja, einen sehr großen. Aleix hat großen Einfluss auf mein Leben. Ich sehe mich als eine Art ‚Mini-Aleix‘, aber verbessert. Ich glaube, er sagt das auch: ‚Du bist ich, nur besser.‘ Denn er ist – ich meine persönlich, nicht beruflich – sehr extrem, sehr schwarz-weiß, während ich etwas neutraler bin.“

„Ich denke, wir helfen uns gegenseitig sehr im Alltag, in schlechten Momenten. Wenn ich stürze, ist er der Erste, den ich anrufe. Wenn er am nächsten Tag stürzt, bin ich der Erste, den er anruft. Ich lerne viel von ihm – seinen Lebensstil, seine Art, glücklich zu sein. Es ist bewundernswert, wie er immer die Sonnenseite sieht. Ich bin eher etwas negativer, und ich hoffe, er lernt auch von mir so wie ich von ihm.“

Frage: „Ich möchte nicht tief auf das Aprilia-Vertragsthema eingehen, aber glauben Sie, die Leute haben verstanden, was Sie auf den Tisch gelegt haben?“
Martin: „Ich denke, es wurde nicht wirklich verstanden, was passierte. Am Ende gab es in diesem Moment einen Interessenkonflikt zwischen Aprilia und mir, den wir letztlich lösen konnten, auf eine Art, die die Leute nicht kennen oder verstehen.“

„Es ging nicht nur um Geld, das Bike oder Projekte. Am Ende war es eine Entscheidung fürs Leben. Für mich war es nach drei Wochen Krankenhaus eine Lebensentscheidung.“

„Aber es wurde nicht verstanden. Das Einzige, was mir wichtig ist, ist, dass mein Umfeld, meine Gruppe, Aprilia und ich glücklich sind und nun alle in dieselbe Richtung rudern. Das ist alles, was zählt. Was die Leute denken, ist mir ehrlich gesagt egal.“

Text von German Garcia Casanova, Übersetzung: Juliane Ziegengeist

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