(Motorsport-Total.com) – Das MotoGP-Programm von Honda scheint sich langsam aus dem Schatten der vergangenen fünf Jahre zu befreien. Vom Ausbruch der COVID-19-Pandemie bis zur Verletzung von Marc Marquez, die letztendlich zum Abschied aus dem Team führte, war es für Hondas Rennabteilung HRC eine Zeit voller Hindernisse.
Während Ducati vier MotoGP-Titel in Folge gewonnen hat, hat man bei Honda mittels Umstrukturierungen in diesem Jahr einen Kurswechsel vollzogen. Als Teil der Neuausrichtung, um sich an die moderne Zeit anzupassen, kommt zur Saison 2026 in Person von Diogo Moreira der begehrteste Moto2-Pilot ins MotoGP-Programm von Honda.
Im Interview für die spanischsprachige Ausgabe von Motorsport.com, einer Schwesterplattform von Motorsport-Total.com im Motorsport Network, spricht Honda-Teammanager Alberto Puig über den Wiederaufstieg des Unternehmens, über die Gründe für die Verpflichtung Moreiras, sowie über den Fahrermarkt, der mit Blick auf 2027 bereits in Bewegung geraten ist.
Frage: „Herr Puig, was haben Sie in Diogo Moreira gesehen?“
Alberto Puig: „Wir sind auf ihn aufmerksam geworden, als er Moto3 fuhr, und dieses Jahr ergab sich die Gelegenheit, ihn unter Vertrag zu nehmen. Diogo ist ein aufstrebender Fahrer. Er ist sehr schnell und hat echte Chancen, die Moto2-WM zu gewinnen. Außerdem passt er perfekt zur Philosophie von Honda.“
„Ich glaube, bei einem unserer Treffen mit ihm, seinem Manager und seinem Coach hat er verstanden, dass unser Projekt für ihn interessant sein könnte. Er ist jung, sehr vielversprechend, talentiert und technisch stark. Aus all diesen Gründen haben wir ihm einen langfristigen Vertrag über drei Jahre angeboten.“
MotoGP-Fahrermarkt für 2027 nimmt schon Gestalt an
Frage: „Wir nähern uns einem interessanten Punkt auf dem MotoGP-Fahrermarkt, an dem das Starterfeld für 2027 und 2028 Gestalt annimmt. Hat HRC seine Ziele diesbezüglich schon festgelegt?“
Puig: „Der Fahrermarkt für 2027 wird insofern etwas ungewöhnlich sein, da ein neues Reglement und ein neuer Reifenlieferant kommen. Das wird es für die Fahrer sehr schwierig, fast unmöglich machen, zu erkennen, welches Motorrad die besten Chancen bietet.“
„Wir werden diese ’neuen‘ Motorräder im Jahr 2026 nur gelegentlich bei einigen Tests zu sehen bekommen. Erst im Februar oder März 2027, wenn die Saison beginnt, werden wir wirklich wissen, wie sie sich alle verhalten. Es stimmt aber, dass der Fahrermarkt früh öffnen wird und dass es offene Fragen geben wird. Das ist sicher.“
Frage: „Derzeit wissen alle Fahrer, welche Motorräder die besten sind. Aber die von Ihnen erwähnten Änderungen könnten die Situation durcheinanderbringen. Könnte diese Unsicherheit, von der Sie sprechen, Honda zu Gute kommen, wenn es darum geht, Fahrer unter Vertrag zu nehmen?“
Puig: „Das könnte sein, aber jeder weiß, dass die anderen Hersteller keine Amateure sind. Ducati wird ein gutes Motorrad bauen, ebenso Aprilia, KTM und Yamaha. Unsere Marke hat vielleicht mehr Gewicht als andere, aber wenn es darum geht, innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens ein wettbewerbsfähiges Motorrad zu entwickeln, kann ich das nicht mit Sicherheit sagen.“
„Die Top-Fahrer wissen genau, was sie wollen. Marc Marquez zum Beispiel wusste ganz genau, was er wollte, als er zu Gresini kam. Es stimmt, dass Honda und Yamaha die Hersteller mit der längsten Geschichte sind. Ich glaube aber nicht, dass uns das die besten Fahrer garantiert.“
Frage: „Die Verträge von Joan Mir und Luca Marini laufen Ende 2026 aus. Was hat Sie angesichts so vieler offener Fragen dazu bewogen, Johann Zarcos Vertrag bis Ende 2027 zu verlängern?“
Puig: „Darauf kann ich Ihnen keine Antwort geben, da ich an dieser Entscheidung nicht beteiligt war. Sie wurde direkt von Japan aus getroffen. Ich war nicht dabei.“
Frage: „Ich frage, weil es überraschend ist, dass der mit 35 Jahren älteste Fahrer im Feld den längsten Vertrag besitzt. Schränkt das Ihre Flexibilität nicht ein wenig ein?“
Puig: „Auch hier kann ich Ihnen nicht weiterhelfen, da ich an diesen Verhandlungen und seiner Vertragsunterzeichnung nicht beteiligt war. Wenn Sie weitere Informationen wünschen, müssen Sie sich direkt an die Personen wenden, die dafür zuständig waren.“
Was Puig an Ducati begeistert – und was an Aprilia nicht
Frage: „Aktuell sagen einige, dass Aprilia jetzt ein Motorrad hat, das Ducati herausfordern kann. Sehen Sie das auch so?“
Puig: „Meiner Meinung nach bleibt Ducati der Maßstab. Das sage ich aufgrund der von ihnen verwendeten Technologie und ihrer Methodik, die sehr fortschrittlich ist. Aprilia? Nun, sie gewinnen hier und da Rennen, und auf den Strecken, auf denen ihr Motorrad gut funktioniert, sind sie unschlagbar. Das haben sie in der Vergangenheit gezeigt. Aber wenn Sie mich zur gesamten Saison fragen, gibt es keinen Vergleich [zu Ducati].“
Frage: „Mehrere MotoGP-Fahrer sagen, Honda habe im Vergleich zu 2024 den größten Leistungssprung gemacht. Kann man sagen, dass das Biest erwacht ist?“
Puig: „Ich weiß nicht, ob ich es so definieren würde, aber wir müssen uns daran erinnern, wo wir herkommen. Wir lagen viele Jahre weit zurück. Die vergangene Saison hat bereits gezeigt, dass wir diesen Trend ändern wollen. Und es stimmt, dass wir viel tun. Wir holen neue Leute an Bord, wir stärken unsere Basis in Japan und wir expandieren in Europa.“
„Honda ist ein sehr mächtiges Unternehmen, Verbesserungen waren uns eine Verpflichtung. Das musste passieren und das wird auch passieren. Sind wir zufrieden? Keineswegs. Aber wir legen mit personellen und finanziellen Ressourcen den Grundstein, um wieder um Siege zu kämpfen.“
Puig über Honda: „Zum Glück haben sich die Dinge in Japan geändert“
Frage: „Was hat die Führung von Honda in Japan davon überzeugt, sich voll und ganz für das MotoGP-Projekt zu engagieren?“
Puig: „Wir dürfen nicht vergessen, dass Hondas DNA der Rennsport ist. Soichiro Honda war anfangs selber ein [Auto-]Rennfahrer, einfach weil der Rennsport seine Leidenschaft war. Sicher, wir haben eine schwierige Zeit hinter uns. Aber wir haben uns an die Arbeit gemacht und glücklicherweise haben sich die Dinge in Japan geändert.“
Frage: „Hat es Honda mit all diesen Veränderungen geschafft, seine Reaktionszeiten zu verkürzen, um Fehler zu korrigieren und das Motorrad weiterzuentwickeln?“
Puig: „Meine Erfahrung sagt mir, man sollte niemals erwarten, dass ein Japaner aufhört, Japaner zu sein. Genauso wird es nicht funktionieren, einen Europäer zu bitten, so zu arbeiten wie ein Japaner. Honda wird die Dinge auf seine eigene Weise tun, sich aber an die moderne Zeit anpassen. Die Dinge werden heute nun mal nicht mehr so gemacht wie 1980.“
Frage: „In Misano hat Honda ein Motor-Update eingeführt, das seither einen bedeutenden Fortschritt darstellt. Gibt es noch ungenutztes Potenzial?“
Puig: „Ja, es gibt noch ein wenig Raum für Verbesserungen.“
Frage: „Hat die Verpflichtung von Kurt Trieb, dem von KTM gekommenen Motorspezialisten, einen Einfluss auf diese Verbesserung?“
Puig: „Man muss bedenken, dass ein neuer Motor schon Monate im Voraus entwickelt wird. Die Spezifikation, die wir in Misano eingeführt haben, wurde also schon vor einiger Zeit entwickelt. Kurt konzentriert sich jetzt voll und ganz auf den 850er-Motor für 2027.“
Text von Juliane Ziegengeist, Co-Autor: Oriol Puigdemont
Quelle, Infos, Hintergrundberichte: www.motorsport-total.com/
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