(Motorsport-Total.com) – Aprilia erlebt derzeit wohl seine beste Saison aller Zeiten in der MotoGP, und das, obwohl mit Jorge Martin der Fahrer fehlt, der das Team eigentlich in eine neue Ära führen sollte. In einer Saison, die von Marc Marquez und Ducati dominiert wurde, hat sich die Marke als regelmäßiger Herausforderer etabliert.
Tatsächlich ist es nun fast 30 Monate her, dass ein anderer Hersteller als Ducati oder Aprilia ein Trockenrennen – ob Sprint oder Grand Prix – gewinnen konnte.
Während Aprilia in den vergangenen Jahren der einzige Hersteller war, der Ducati regelmäßig daran hinderte, alle MotoGP-Siege in einern Saison einzufahren, hat das Werk aus Noale 2025 einen weiteren Schritt nach vorn gemacht und die bislang größte Schwäche behoben, nämlich seine mangelnde Konstanz.
In der Vergangenheit war die Spitzenleistung der RS-GP so hoch, dass sie auf bestimmten Strecken, etwa in Barcelona, fast unschlagbar war. Doch ihr schmales Leistungsfenster machte sie weniger vielseitig als die Konkurrenz. Ein Nachteil, der es KTM 2023/24 erlaubte, Aprilia in der Herstellerwertung von Platz zwei zu verdrängen.
In vielerlei Hinsicht ähnelte die Aprilia in den vergangenen drei Jahren der Ducati der späten 2010er-Jahren, als das Motorrad aus Borgo Panigale auf den Geraden dank Raketenmotor davonzog, aber in den Kurven nicht mithalten konnte.
Doch das beginnt sich zu ändern. Während die MotoGP dem Ende ihres aktuellen Reglement-Zyklus entgegengeht, hat Aprilia die RS-GP zu einem Prototyp weiterentwickelt, der auf nahezu allen Streckentypen konkurrenzfähig ist.
„Klar, wir waren auf den flüssigen Streckenabschnitten sehr schnell, das war schon immer eine Stärke der Aprilia“, analysiert Massimo Rivola, seit 2019 Geschäftsführer von Aprilia Racing. „Aber es scheint, als wären wir jetzt auch auf Stop-and-Go-Strecken wettbewerbsfähiger. Insgesamt wird das Motorrad immer besser.“
Neue Impulse durch Fabiano Sterlacchini
Ein entscheidender Wendepunkt kam mit dem Führungswechsel Ende 2024, als Fabiano Sterlacchini, ehemals rechte Hand von Gigi Dall’Igna, nach drei Jahren bei KTM als Technikdirektor zu Aprilia wechselte und Romano Albesiano ablöste.
Unter Sterlacchini hat Aprilia enorme Fortschritte gemacht, mit bisher sechs Podien und zwei Siegen. Zudem wurden einige langjährige Probleme des Bikes beseitigt, darunter die Überhitzungsneigung bei hohen Temperaturen auf asiatischen Strecken.
Auch wenn die genauen technischen Details natürlich geheim bleiben, hat die wachsende Konstanz das Vertrauen im gesamten Projekt sichtlich gestärkt.
„In diesem Sport ist ein Teil Technik und ein Teil Motivation, also wie sehr man daran glaubt, dass alles richtig ist. Es gibt nicht immer eine Gleichung oder Simulation, der man folgen kann. Man muss Vertrauen in die eigene Arbeit haben“, erklärt Sterlacchini bei Motorsport.com, einer Schwesterseite von Motorsport-Total.com.
„Wenn man Höhen und Tiefen hat, kann man nach einem Tief manchmal wieder nach oben kommen, aber nur, wenn man daran glaubt. Konstanz ist das wichtigste Gesetz. Wenn du nur in einem Rennen gut bist, könnte das auch ein Zufall sein. Aber es zeigt noch nicht, dass du dein Motorrad wirklich weiterentwickelst.“
Ohne Martin quasi ein Ein-Fahrer-Team
Da Martin einen Großteil der Saison verletzt ausfiel, war Aprilia im Grunde ein Ein-Fahrer-Team. In dieser Situation waren Beständigkeit und Selbstvertrauen besonders wertvoll.
In Martins Abwesenheit übernahm Marco Bezzecchi, einer der Neuzugänge für 2025, die Rolle des Leaders. Er führte das Team zu einem starken Sieg beim Grand Prix von Großbritannien und hätte diesen Erfolg in Indonesien beinahe wiederholt, wäre ihm nicht ein seltener Fehler in der ersten Runde unterlaufen.
In Mandalika zeigte Aprilia jene rohe Performance, die man zuletzt beim Grand Prix of the Americas 2024 gesehen hatte. Bezzecchi holte die Pole mit vier Zehnteln Vorsprung und kämpfte sich im Sprintrennen von Platz acht zum Sieg.
Der Preis für das „rundere“ Motorrad war allerdings ein leichter Verlust der früheren Dominanz auf Strecken wie Barcelona. 2023 hatte Aprilia dort einen souveränen Doppelsieg gefeiert – eine der seltenen Gelegenheiten, bei denen Ducati klar geschlagen wurde.
2024 war dieser Vorsprung etwas kleiner, doch Aleix Espargaro holte dennoch Pole und Sprintsieg beim Heimrennen. 2025 hingegen schaffte es keine Aprilia in die Top 5 von Qualifying oder Rennen. Und auch beim Grand Prix von Malaysia hatten Bezzecchi und Fernandez, zuvor in Australien noch siegreich, zu kämpfen.
Noch nicht auf allen Strecken in den Top 5
Sterlacchini erklärt, das liege nicht an einem Rückschritt von Aprilia, sondern daran, dass die Konkurrenz schneller aufgeholt habe. „Leistung ist relativ. Unser Motorrad ist objektiv schneller als im Vorjahr, aber die anderen haben sich noch stärker verbessert.“
„Von außen sieht es leicht so aus, als würden wir schlechter abschneiden, aber wir haben unsere Rundenzeiten verbessert. Nur waren die anderen eben noch besser. Entscheidend ist, wie nah wir an den Topfahrern dran sind“, erklärt der Technikchef.
Beim diesjährigen Katalonien-Grand-Prix lieferten sich die Marquez-Brüder ein direktes Duell, das schließlich Alex Marquez auf der letztjährigen Ducati GP24 für sich entschied.
Enea Bastianini wurde auf der Tech3-KTM mehr als fünf Sekunden dahinter Dritter, während als bester Aprilia-Fahrer Trackhouse-Pilot Ai Ogura als Sechster ins Ziel kam, nachdem Bezzecchi früh in eine Kollision mit Franco Morbidelli verwickelt worden war.
Warum die Rivalen in Barcelona größere Fortschritte gemacht haben? „Sie arbeiten daran, ihre Schwächen auszubügeln“, so Sterlacchini. „Ich glaube, Ducati hat nach der Aprilia-Leistung 2023 den Fokus auf drei Teststrecken gelegt, darunter Barcelona, und dort viel getestet. Das ist sicher ein Faktor, aber es gibt auch andere.“
So erwies sich Sepang, wo im Februar traditionell die Vorsaisontests der MotoGP abgehalten werden, schon vorab als schwierige Strecke für Aprilia. Das bestätigte sich am Rennwochenende, wenngleich Bezzecchi sich wohler fühlte als noch beim Test.
Nach einem schwachen Qualifying reichte es dennoch nur zu Platz sechs im Sprint und Rang elf im Hauptrennen. Bester Aprilia-Pilot wurde hier abermals Ogura als Zehnter.
Kampf um „Best of the Rest“
Trotz dieser negativen Ausreißer zeigt der Trend bei Aprilia insgesamt nach oben. Das Team mag zwar mit weniger Stammfahrern antreten, doch die RS-GP ist stark genug, um um den historischen zweiten Platz in der Herstellerwertung zu kämpfen.
Der Hauptkonkurrent ist KTM. Mit einem neuen Aerodynamikpaket in Spielberg blühte der österreichische Hersteller in dieser Saison wieder auf. Doch die Performance der RC16 schwankt weiterhin stark, was Aprilia zwei Rennwochenenden vor Saisonende einen Vorsprung von 30 WM-Punkten beschert.
„Eines unserer Saisonziele war es, in der Fahrerwertung in die Top 5 zu kommen und den Kampf mit KTM um Platz zwei hinter Ducati zu gewinnen. Das ist ein realistisches Ziel, wenn man die letzten Jahre betrachtet“, sagt Sterlacchini.
„Wir haben hier und da Punkte verloren, durch Fehler, aber auch durch Dinge, die nicht in unserer Kontrolle lagen, wie etwa in Barcelona, wo wir praktisch zwei Nuller hatten, ohne dass Marco etwas dafür konnte. Zum Glück hat Ogura einige Punkte gerettet. Unser Ziel bleibt klar: Platz zwei bei den Konstrukteuren.“
Text von Rachit Thukral, Übersetzung: Juliane Ziegengeist
Quelle, Infos, Hintergrundberichte: www.motorsport-total.com/
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