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Mein Telefon versuchte energischer zu klingen als sonst.
„Hab grad einen Brief vom Suzuki Laden bekommen! Da wird die neue GSX-R750 mit Wasserkühlung vorgestellt! Und die RF900! Und alle anderen Moppeds kannst auch fahren… Geil, oder?!“
Ralfs Stimme schnappte leicht über.
„Wann?“, fragte ich.
„Am kommenden Samstag! Gehst mit oder?“
Ich nickte, legte auf und bekam ein mulmiges Gefühl. Das erste Mal nach meinem schweren Unfall wieder auf ein Motorrad.
Wie geil…
Das versprach eine lange Woche zu werden, denn es war erst Dienstag.

Vorsichtshalber begann ich schon am Mittwoch, mein Visier zu putzen, die Lederkombi zu wachsen und die Stiefel zu imprägnieren. Am Donnerstag wiederholte ich zur Sicherheit das Ganze noch einmal, diesmal jedoch mit harter Musik einer damals stark angesagten Gitarrencombo.
Mein Chef schnauzte mich am Freitag an, er würde mich, neben meiner körperlichen Anwesenheit, auch für meine geistige Anwesenheit bezahlen.
Spießer! Keine Ahnung, der Mann.
Ich versprach ihm, die ca 35 falsch eingegebenen Aufträge am Montag zu korrigieren und den Kunden, dem ich totalen Blödsinn verkauft hatte, anzurufen um mich zu entschuldigen.
Endlich Feierabend.

So ein Mitsubishi Colt GTI16V hat mehr Überholprestige als ich dachte, speziell, wenn man die Lichthupe eifrig benutzt. Neu war mir auch, dass der Colt im fünften Gang in den Begrenzer dreht, wenn man vor dem Bergabstück genug Anlauf hat. Wie auch immer, ich gelangte einigermaßen unfallfrei zu Ralfs Wohnung. Ralf hatte seine ZZR600 leider verkaufen müssen, da er seinen Job verlor, er war also auch heiß wie Frittenfett aufs Fahren.

Am nächtsten Tag standen wir pünktlich, eine Stunde zu früh vor dem Suzuki Laden und warteten, bis sich einer blicken ließ.
Eine RF600 hielt ich für ein probates Mittel, das Unfalltrauma zu bekämpfen.
Bis zum Ortsschild schaffte sie fast 160, das war schon mal nicht schlecht, dann war ich endlich aus der Ortschaft raus. Zunächst mußte ich mich wieder daran gewöhnen, überall überholen zu können. Immer wieder erwischte ich mich dabei, wie ich zögerte, oder noch schlimmer, das Tempo des Vorausfahrenden annahm, um erst zu gucken, ob frei sei.
Schreckliche Angewohnheiten, die ich meinem erzwungenen Autokonsum zuschrieb.
Doch langsam wurden die schlechten Angwohnheiten von dem früher Erlernten verdrängt.
Endlich wieder freies Fahren. Ich atmete die Restluft ein, die man bei 240 Sachen noch so in den Helm bekommt und grunzte zufrieden.

Ralf hatte auch irgendein Mopped probiert und war bereits wieder zurück, als ich in den Hof des Händlers einbog. Wir wollten jetzt die neue GSX-R750 fahren. Die war in der Früh noch nicht fahrbereit gewesen.
Jetzt stand sie also da… ein metallgewordener Traum mit adrettem Plastikkleid in Farben, die man eben in den frühen 90er Jahren als männlich empfand.
Rosa, lila und türkis. Heute würde man mit so einer Zirkusbemalung die Motorräder im Verkaufsraum einzementieren, aber damals war das todschick. Ralf konnte dank seiner meterlangen Beine einen größeren Schritt zum Schreibtisch machen und unterschrieb als erster den Probefahrzettel. Ich gab ihm einige Tiernamen, die ich als angemessen empfand, signierte für eine RF900 und wollte dem Heini ordentlich heimleuchten.

Wir fuhren zusammen los… Hausstrecke… klar.
Die GSX-R schob mächtig voran, die RF ging aber auch ganz gut, ich blieb dran.
Vor einer Kurve, die Ralf später als unübersichtlich entschuldigend erklärte, zögerte er kurz einen Golf zu überholen.
Ich nicht.
Ralf war zweiter.
Die Führung sollte noch einige Male wechseln.
Es folgte unsere Lieblingskurve, eine langgezogene Rechts, die in ihrem Scheitel eine Senke hatte, danach berauf in eine schnelle Links überging, welche direkt in eine Ortschaft mündete.
Ich wußte, daß die Kurve sicher mit gut 160 ging, die Links ebenfalls. Anschließend konnte man das Tempo im Ort reduzieren.
Die RF positionierte sich bereits artig am kurvenäußeren Bankett und ich flog in die Kurve ein. Kurz vorher blickte ich in den Rückspiegel und sah Ralf zurückfallen.
Der Kerl wollte noch ein paar km/h drauflegen.
Um mehr konnte ich mich nicht mehr kümmern, denn die Kurvenkombination nahm meine volle Aufmerksamkeit in Anspruch.
Ein wunderbares Gefühl.
Man liegt in der Kurve, das Motorrad arbeitet die kleinen Unebenheiten weg, der Motor freut sich über ordentlich Drehzahl und das Leben ist einfach schön
Jetzt die Links.
Ich wollte nicht, dass Ralf aufholte. Schnell umlegen war also Pflicht.
Die RF knallte mit Mach 2 über die kleine Kuppe in den Ort.

Direkt hinter der Kuppe fuhr ein Fiat Panda mit einem Mütterchen zum Einkauf in den ortsnahen Edeka.
Mit 50! Das war nicht schnell. Ich griff in die Bremse, meine RF verneigte sich artig und wild schlingernd kam ich einen Meter hinter dem Panda in etwa auf eine vergleichbare Geschwindigkeit.
Das Mütterchen glotzte mich mit weit aufgerissenen Augen durch ihren Rückspiegel an.

Eben wollte ich das Mütterchen artig grüßen und elegant an ihr vorbeiziehen, als ich hinter mir einen hochdehenden Motor hörte.
Das war Ralf und es klang schnell… sehr schnell.
Trotz des langen Textes über das eben Geschehene, befand ich mich immer noch kurz hinter der Kuppe am Ortseingang, da die Mitvierzigerin keine Anstalten machte, schneller als 50 zu fahren.

Ralfs wassergekühlte GSX-R flitzte vom linken Außenspiegel zum rechten in einem Wimpernschlag, kurz quietsche es noch, dann war es still.
Ich drehte mich nach rechts und erblickte Ralf in einem Parabelflug über das ortsnahe Kartoffelfeld.
Wow… der flog aber lang.
Ungefähr in der Mitte des Feldes – er flog sicher 35 Meter weit – schlug das Motorrad auf.
Wer schon mal Steine über die Wasseroberfläche geschnippt hat, der weiß, was nun folgt
Ralf ditschte auf.
Nochmal.
Wieder.
One more time buddy.
Wahnsinn.
Ein fünffacher Aufditscher… Rekord.

Klick

Die riesige Staubwolke gab dem Schauspiel eine ganz eigene Dramaturgie.
Ein Lachanfall entlud sich mit ungeheuerlicher Gewalt, Tränen schossen wie Bäche aus meinen Augen und ich hatte ernste Mühe, stehen zu bleiben. Unglaublich, der Kerl ist so weit geflogen, daß ich in Erwägung zog, direkt dorthin zu fahren, aber aufgrund des schlechten Zustands des Feldweges ließ ich von dieser Idee schnell wieder ab.
Ich rannte zu Ralf.

Er hatte sich inzwischen aufgerappelt und zog den Helm ab.
Der Lange dreht sich um, sah mich und streckte mir ein Victory Zeichen entgegen.
„Mann Kerl, was machst Du denn für Zeug!“ rief ich ihm zu.
Ralf: „Krass, ich bin noch nie so weit geflogen.“
Ich: “ Hast Du Dir was getan?“
Ralf: „Näh, geht schon… mir tut nur der Rücken weh.“
Ich: Na gut, lass uns mal nach dem Mopped gucken.“
Das Motorrad war eine Skulptur.
In rosa, lila und türkis.
Komplett krumm.
Wert, sie auszustellen.
Als moderne Kunst.
Die Räder drehten sich noch, wenn man einiges an Schleifgeräuschen ignorierte.

Ralf und ich schoben schwitzend und fluchend die ehemalige GSX-R und jetziges Kunstobjekt aus dem Acker.
Ralf: „Lass uns mal zum Bauern gehen und den Händler anrufen.“
Ich: „Hoffentlich ist das Motorrad versichert.“
Ralf: „Mein Rücken.“
Ich: „Meinst, da ist was?“
Ralf: Quatsch, wenn da was wäre, täts mehr weh.“
Ich: „Bist Du sicher?“

Ralf: „Geil, war das ein Flug… ich hatte über 170 in der Rechts drauf, dann bin ich volle Kanne in die Links und hab nur noch Dein Bremslicht gesehen, dann gings schon ab.“
Ich: „Spinner!“
Ralf: „Jo…“
Ralf hatte sich einen Rückenwirbel gebrochen, brach beim Händler zusammen und lag sechs Wochen im Krankenhaus. Seine Freundin hat ihn während seines Krankenhausaufenthalts verlassen.

Dadurch hatte er wieder Geld und kaufte sich eine Kawasaki ZX6R, die ihn nicht so einfach verließ.
Ich kaufte mir etwas später eine CBR600.
Wir hatten noch einigen Spass…

Text von Prinzessin Horst

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