Wir schreiben das Jahr 2009. Durch äussere Umstände gelang es mir endlich einen lang ersehnten Wunsch in Erfüllung gehen zu lassen.

Ein eigenes Motorrad. Meinen Führerschein besitze ich seit 10 Jahren, leider hatte ich bisher keine Möglichkeit mir meinen eigenen Bock nach Hause zu holen. Das sollte sich 2009 radikal ändern.

Ich bin durch meinen kleinen Suzuki Roller vorinfiziert und was sollte es auch anderes werden als der grosse Bruder zum kleinen Roller. Eine GSX-R 600 K9. Tradition verpflichtet und die Farbwahl gestaltete sich wie damals in blau/weiß.

Von Motorrädern keine Ahnung weder Fahrpraxis noch Schrauberfahrung war vorhanden. Nach kurzer Zeit hielt die entsprechende Sicherheitsbekleidung Einzug. Ein Lederkombi in weiß und ein blau/weißer Helm.Nichtsahnend und ohne in die Zukunft zu blicken verzichtete ich damals auf einen Rückenprotektor.

Ein großer Fehler wie sich später herausstellen würde. Ich bin allgemein als kleines Crashkid bekannt und hatte in der Vergangenheit unzählige Autounfälle, die bis dato immer glimpflich und ohne nennenswerte, körperliche Schäden ausgingen. Da kommt ein 125 PS Monster genau richtig für einen Anfänger wie mich.

Mit Sack und Pack machte ich mich daran die nagelneue Maschine schnellstmöglichst auf den ersten Kundendienst bei 1000km zu schiessen. Mit ausreichend Sachverstand eines Verbrennungsmotors und dessen Einfahrphilosophie fuhr ich ca. 800km im Jahr 2009. Landstrasse bergauf und bergab. Immer sachte am Gas, niemals mit viel Risiko und ohne irgendwelche brachialen Überholmanöver. Schliesslich war ich damals auch noch komplett ohne Schutzbekleidung unterwegs. Diese kam erst zum Saisonstart im Jahr 2010.

Aufgestiegen auf ein Monster auf zwei Rädern, angetrieben von der gnadenlosen Macht des Kraftstoffes namens Benzin und im Fahrer genügend Adrenalin. Schnell wurde mir klar, hier hört der Spass auf. Hier brauche ich definitiv mehr Erfahrung als im Auto. Hier wird in einer ganz anderen Liga gespielt. Damals hatte ich noch ein Fahrsicherheitstraining im Kopf. Das verlor ich mit jedem Kilometer mehr und mehr aus den Augen. Diese Schnelligkeit, diese Unabhängigkeit, dieses Freiheitsgefühl. Einfach unglaublich und ich wollte es nicht mehr missen müssen. Jede freie Minute auf dem Monster über die Landstrassen ballern. Das wollte ich.

Ein sonniger Samstag Morgen rückte näher. Ein herrlicher Tag für einen klassischen Ausflug auf die Landstrassen um wieder einmal mehr im Leben die Freiheit zu spüren ohne aufgehalten zu werden.

Wie vor jeder Fahrt stand ich unten im Hof. Das Bike sauber aufgebockt und ready to polish. Erstmal vom vorhergehenden Ausflug sämtliche Leichen auf dem Lack beseitigt. Diese Biester sind überall und besitzen tatsächlich die Frechheit sich bei über 180kmh und darunter auf meiner Scheibe breit zu machen. Einfach unglaublich! Und das Beste daran, sie fragen nicht einmal um Erlaubnis was ich davon überhaupt halten würde. Alles fiese, gemeine Terroristen! Nach einer Stunde voll galanter Putzarbeit mit Microfaser und Wasser kam noch das heissgeliebte Leistungsmittel auf die Kette. Alias Kettenfett um auch ja keine Leistung bei der Kraftübertragung von Kurbelwelle, Kette und Zahnrädern zu verlieren.

Startklar stieg ich auf. Die Hände wurden feucht, mein Herz fing an zu rasen. Ich lies mich fallen, zog Kupplung, klappte den Ständer ein und drückte den Schalter für den Herzschrittmachers des Monsters.

Bei einem Standgas von cirka 1000 Umdrehungen röchelte das Aggregat so vor sich hin. Es blubbert mit etwas etwas röcheln und flüsterte leise, ich brauch Drehzahl!!! Her damit!!! Ich will, ich will, ich will vorwärts!!! Ich kam seinem Wunsch nach, rollte auf die Strasse und fing an zu schalten und am Hahn zu drehen. Mit jedem Millimeter am Gashahn merkte ich die Freude des Monsters. Fortan sollte es mit dem optimalen Kraftstoff/Luftgemisch den ganzen Tag über die Landstrassen gehen.

Jedes Kreischen, jedes Schalten, jeder Gasschub entfachte in mir unglaubliche Adrenalinstösse und ich wollte immer mehr, immer schneller und schneller. Niemals aufhören und immer weiter machen. Ich wurde gnadenlos mit dem Virus Zweirad infiziert. Von einer unsichtbaren Kraft angetrieben ging es vorwärts. Jeder Meter wurde mir mitgeteilt. Die Landschaft flog vorbei. Jeder Leitpfosten war nur noch ein weisser Wisch in meinen Augenwinkeln. Von Geschwindigkeitsbegrenzung wollte ich nichts wissen. Ich konnte mir nicht erklären was die treibende Kraft war, die mich so unglaublich nach vorne gepushed hat. Es wollte nicht mehr aufhören!!! Es ging immer weiter und weiter und weiter.

Menschliche Bedürfnisse hatte ich trotzdem noch zu stillen und kehrte am Stützpunkt ein um mich etwas locker zu machen.Nach ein paar Telefonaten waren fünf Biker ausgemacht und wir trafen uns so gleich um ein paar Runden zu drehen. Ich hatte bis dahin einige Strassen passiert und mir genau gemerkt wo es eng werden kann und wo ich mich selbst überschätzen könnte.

Die Erkenntnis dessen was passieren könnte war da, nur darauf hören? Niemals!!! Schneller, immer schneller und immer schneller. Mir war es einfach egal was um mich rum passiert. Ich wollte nur noch vorwärts. Sechs Biker inklusive mir trafen sich zum gemeinsamen Ausflug! Dieser Name bekommt auch noch eine tiefere Bedeutung.

Alle samt mit Waffen unterwegs, die Randbedingungen mehr als perfekt. Strasse trocken, Lufttemperatur ca. 25° und keine Luftbewegung. Uuuunnnnddd ab geht’s!

Der Kampf gegen mich selbst begann und er war gnadenlos. Sie fuhren schnell, sehr schnell! Viel zu schnell für mich! Jede Kurve wurde abartig schnell durchfahren, Knie am Boden und die Funken flogen. Kurve für Kurve. Zwei Strecken wurden öfter als nur einmal gefahren. Unzählige Male die selben Kurven. Am Limit eines jeden sprühten die Funken und die Geschwindigkeit nahm abermals stark zu. Ich kämpfte um mitzuhalten. Ich schwitzte stark und es sammelte sich das Wasser literweise in den Handschuhen. Nervös, verkrampft und ohne Nerven kämpfte ich um mithalten zu können. Jede kurze Pause war eine Wohltat meiner Selbst. Leider reichte es nicht und es ging wieder los.

Streckenwechsel und es wurde eine andere Richtung eingeschlagen. Richtung untergehende Sonne spät Nachmittags gegen 16Uhr.

Ein Streckenverlauf, der mir durchaus bekannt war. Nun war er da. Mit dem Ortschild kam Angst, brutale Angst! Als ich das Schild passierte wollte ich nur sicher den Berg runter kommen. Die Strasse, die Kurven, einfach abartig zu fahren. Rechts ziehen sich die Felswände hoch. So hoch dass man die Spitze des Berges von der Strasse aus nicht einsehen kann. Links gings steil bergab, richtig bergab. Und wenn ich sage bergab, dann meine ich auch bergab.

Wir schossen auf den Kurveneingang zu, total verkrampft sah ich den Kurveneingang. Am Parkplatz vorher saß ein Fotograf dem ich in diesem Moment zuviel Aufmerksamkeit schenkte. Ein böser Fehler!

Ich stoch auf die Kurve zu, wusste nicht wie mir geschieht! Viel zu schnell und ohne Ahnung wie ich nun zu reagieren hab kam ich immer weiter auf den Gegenstreifen. Im letzten Moment versuchte ich das Bike nach rechts zu legen.Ohne Erfolg! Während des Bremsens war keine Kurvenfahrt mehr möglich. Ich konnte es nicht, ich wusste nicht was zu tun ist. Nichts, aber auch rein gar  nichts konnte mich nun vor meinem Unglück retten.

Ein klassischer Highsider war die Folge. Auf der Gegenfahrbahn gings dann mit einem doppelten Überschlag in die Botanik und ich dachte nur, hoffentlich komm ich vorm Abgrund ins Nichts zum Liegen. Ab dann kann ich mich an nichts mehr erinnern.

Kurz drauf kam ich zu mir und schrie, ich schrie laut. Sehr laut. Versuchte meine Zehen zu spüren. Gott sei Dank, alles noch dran und beweglich. Ich beruhigte mich und stand auf. Mir tat nichts weh, verspürte keinen Schmerz. Stand auf und sah mein Bike an. Schock!!! Zertrümmert lag es neben mir und mir flossen die Tränen aus den Augen. Keine Wut und kein Hass verspürte ich. Nur Trauer und dem Wissen, dass ich es war der Schuld daran hat. Nur und nur ich. Die Maschine alleine macht so was nicht.

Nun stand ich da, Schmerzen im rechten Hüftbereich kamen und die Biker fanden sich auch ein und halften mir mein Bike auf den Parkplatz zu schieben.Ich wunderte mich über eine Zugluft am Rücken. Ich fragte ob jemand nach sehen könnte warum mit am Rücken so kalt war. Meine Lederjacke hätte es zerrissen. Schande, das auch noch. Ich zog die Jacke aus und da sah ich es erst.

Im Sturzflug habe ich den ersten, aus dem Boden stehenden, Leitplankenpfosten erwischt. Da die aus dem Boden tretende Leitplanke noch nicht die volle Höhe erreicht hatte, war der Stahl des Pfostens ein Stück höher als die Planke. Ich konnte mich nicht selbst von hinten begutachten und lies es ausser Acht. Ich organisierte den Rücktransport und begab mich in die Hände meines Vaters, der mich ins Krankenhaus brachte.

Eine leichte Prellung am rechten Beckenteil war das einzige an Schaden, dass ich davon trug bis ich zu Hause in den Spiegel schaute. Ich drehte mich um. Sah die blauen Flecke des Beckens und dann meinen Rücken.

Die Planke hat mir einen Streifschuss verpasst. Ca. 15cm ist er lang. Ein Riss quer über die Wirbelsäule. Nicht wirklich tief! Ein gnadenloser Streifschuss des Herren. Bis hier hin und nicht weiter. Ich hatte Glück wie nur selten jemand, der in Kontakt mit der Leitplanke kommt. Der Streifschuss weckte mich auf. Ich hatte mein Lektion gelernt und ein Kauf eines Rückenprotektors wurde getätigt.

Die Unfallstelle suchte ich abermals auf nachdem ich wieder Auto fahren konnte. Nichts ahnend fuhr ich die Stelle an hatte eine kleine Kerze dabei. Ich stellte sie auf und bemerkte als bald wo ich eigentlich abgeflogen bin.

An dieser Stelle stand es, Das Kreuz des Herren. 4 Meter hoch und nicht von der Strasse aus ersichtlich. Es wurde mein Ort des Nachdenkens und suche ihn auch heute noch auf. Nichts passiert einfach grundlos. Alles hat einen Sinn und ist für irgendetwas gut. Sich davon aufhalten lassen kam für mich nicht in Frage.

Nach 4 Wochen Rüstzeit und eine Menge Geld weniger stand ich wieder im Hof und putzte das Monster und ich war wieder auf Achse.Ein Fahrsicherheitstraining habe ich absolviert und nun bin ich wieder unterwegs. Schneller und sicherer als zuvor.

Seit diesem Tag an habe ich nicht nur einen Schutzengel an meiner Seite und zwei kleine, blaue Splitter der Verkleidung erinnern an das Ereignis von damals.

So long…….

Text von Michael Möller

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2 Antworten auf Wenn Bikern Flügel wachsen oder Engel fliegen tief und sterben nie!

  1. Patrick S

    Super beschrieben, lässt einen mitfühlen, wohl jeder Biker kennt das Gefühl,

    kurz vorher noch Gas voll offen und im nächsten Moment fährt man kurz mal langsamer und dann kommt eine Situation die man mit Vollgas nicht mehr hätte glimpflich überstehen können.

    Aber dein „Kuss“ von der Leitplanke ist vergleichbar mit dem Abenteuer mit 130 kmh eine 5 m Lücke zwischen 2 Bäumen zu treffen.

    1 m weiter vorn oder hinter oder anderen Winkel und aus.

    Rasen? nicht unbedingt, Spaß musses machen.

    Allzeit gute Fahrt
    Patrick S

  2. Hans Walbaum, Dr.

    Hans W, 07.04.2019

    In den einschlägigen Bike-Stories geht es oft um das Thema „ich teste aus, was geht“, und „um Haaresbreite wäre es schlimm ausgegangen…“. Wie kommt es eigentlich, dass sämtliche Schreiber offenbar den Vorzug genießen, stets auf der Seite derer zu stehen, die noch einmal Glück hatten und mit dem Schrecken und einem Adrenalinstoß (der wie eine Droge wirkt) davonkamen?
    Was ist mit den „Looser-Typen“, die es aus irgend einem Grunde gerade eben DOCH erwischt hat, und die diese Tatsache mit ihrem Leben oder einem langdauernden schmerzhaften Leiden bezahlen?
    Von den Protagonisten wird die öffentliche Straße verwechselt mit einer Rennstrecke. Ein Profi-Rennfahrer hat mich bei einem Biker-Treff einmal aufgeklärt: Er machte einen ganz deutlichen Unterschied zwischen diesen beiden Fahrumgebungen, und zwar mit folgender Begründung: Für die Profi-Rennfahrer versucht man, das Risiko für Leib und Leben zu minimieren, indem auf den Rennstrecken 1.) absolut KEIN Gegenverkehr herrscht,
    2.) an besonders gefährlichen Abschnitten, Kurven etc. werden Aufprallabsorber installiert, wie Strohballen, Gummireifen, usw…
    3.) es gibt kaum Hindernisse, die einen Rutscher mit einem hässlichen Punktaufprall enden lassen, wie Straßenschilder, Laternenpfähle u.v.a., die ja an den allgemeinen Verkehrwegen auf rutschende Unfaller lauern.
    4.) die Strecke wird nach Möglichkeit frei von Sand, Rollsplit, Öl, Matsch, Ästen etc. gehalten, sodass auch beim Punkt Straßenbelag Gefahren minimiert werden.
    Man vergleiche jetzt einmal diese beinahe idealen Bedingungen mit den weit gefahrvolleren Gegebenheiten, die die Hobby-Rennpiloten im Alltag auf den öffentlichen Straßen vorfinden!

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