Giacomo Agostini - © Motorsport Images

© Motorsport Images – Motorrad-Legende Giacomo Agostini im Ferrari 312T2 aus der F1-Saison 1976

(Motorsport-Total.com) – Bevor Giacomo Agostini ein 15-maliger Motorrad-Weltmeister wurde, sah er sich mit einem außergewöhnlichen Angebot konfrontiert: Enzo Ferrari wollte ihn für die Formel 1 verpflichten.

Das Angebot war verlockend, aber nach reiflicher Überlegung gab für Agostini doch seine Leidenschaft für den Motorradsport den Ausschlag.

Was wäre, wenn Agostini in die Fußstapfen von John Surtees getreten wäre, um das Kunststück zu vollbringen, das auch heute noch alle anderen Errungenschaften zu übertreffen scheint, nämlich sowohl auf dem Motorrad als auch im Formel-1-Auto Weltmeister zu werden?

Agostini war bereits ein Star, als er die Möglichkeit erhielt, die Kategorie zu wechseln und in der Königsklasse auf vier Rädern anzutreten. Das war im Zeitraum 1966 und 1967, und die Idee als solche war damals gar nicht so ungewöhnlich.

Einige Jahre zuvor hatte Mike Hailwood – Agostinis erster großer Widersacher – das Risiko gewagt und für Reg Parnell Racing ein paar Grands Prix in der Formel 1 bestritten. Das Ganze unternahm der Brite inmitten dreier Saisons, in denen er den 500er-Titel gewann (1963, 1964, 1965).

Später trat „Mike The Bike“ noch einmal in die Formel 1 an und fuhr sogar zweimal auf das Podium (Monza 1972 und Kyalami 1974). Abgesehen davon war er auch in anderen Automobil-Rennserien am Start. Mit dem Team Surtees wurde er 1972 sogar Formel-2-Champion.

Giacomo Agostini wiederum war noch keine 25 Jahre alt, als er seine Chance bekam. Seine Motorradkarriere hatte gerade Fahrt aufgenommen und sein erster 500er-Titel belohnte bei seinem Lieblingshersteller MV Agusta sein reines Talent mit Erfolgen.

„Gewaltiges“ Angebot von Enzo Ferrari, aber …
Aber auch Enzo Ferrari war auf „Ago“ aufmerksam geworden und versuchte, ihn für die Scuderia in die Formel 1 zu holen. Der „Commendatore“ ließ Agostini einen Ferrari Dino 206 S Berlinetta testen und wollte ihn, überzeugt von seinem Potenzial, in den Grand-Prix-Sport locken.

„Ferrari ließ mich ein Auto testen“, erzählt Giacomo Agostini für die französischsprachige Ausgabe von Motorsport.com. „Ich habe ihn häufig in Modena getroffen, weil Ferrari auf derselben Strecke testete wie ich. Er schlug es mir vor, ich absolvierte einen Test und dachte ein paar Tage lang darüber nach. Der Gedanke, dass mir Ferrari ein Auto anbietet, war gewaltig!“

Doch in Agostinis Kopf kamen auch Zweifel auf. Letztlich übernahm seine erste Leidenschaft wieder die Oberhand. „Seit dem Kindesalter dachte ich daran, Motorradrennen zu fahren, nicht Autorennen. Warum also sollte ich mich jetzt selber betrügen, wo ich doch so erfolgreich bin, jeden Sonntag gewinne oder auf dem Podium stehe? Warum sollte ich etwas aufgeben, das mich von Beginn an zum Träumen gebracht hat?“, denkt der heute 81-jährige Italiener zurück.

„Ich habe nicht von Autos geträumt, sondern von Motorrädern. Also sagte ich Nein. Ich musste mich mit dem begnügen, was ich hatte. Ich musste dort bleiben, wo ich war“, so Agostini, der zu diesem Zeitpunkt erst am Anfang der größten Karriere stand, die im Motorrad-Grand-Prix-Sport jemals geschrieben wurde und in der er im Zeitraum 1966 bis 1975 insgesamt 15 WM-Titel in den Klassen 500er, 350er und 250er erringen sollte.

Agostini hätte das Gefühl gehabt, seine wahre Liebe zu verraten, wenn er in der Formel 1 eine neue Karriere begonnen hätte. Also hörte er auf sein Herz, aber es war auch eine Entscheidung der Vernunft.

Den Sport zu verlassen, in dem er gerade die Spitze erreicht hatte, das wäre ein Risiko gewesen, das er wahrscheinlich nicht eingehen wollte. „Genau“, bestätigt er. „Dort drüben wusste ich nicht, wie es sein würde. Ja, ich habe gesehen, dass ich gut war, aber …“

Agostini versichert, dass Enzo Ferrari diese Entscheidung ohne Schwierigkeiten akzeptierte: „Ja. Als ich ihn traf, wusste er das zu schätzen und sagte: ‚Ich verstehe dich‘. Er hat verstanden, dass ich es ernst meine.“

Wie Agostini, so auch Rossi: F1 für Ferrari getestet
Es sollte noch zehn Jahre dauern, bis Agostini letztlich doch in den Automobilrennsport einstieg. Sobald seine Motorradkarriere beendet war, versuchte er sich in der Formel 2 und dann der Formel Aurora AFX, einer in Großbritannien ausgetragenen, nationalen Meisterschaft für Formel-1-Autos.

In der Formel Aurora AFX bestritt Agostini in den Jahren 1979 und 1980 mehr als 20 Rennen mit einem Williams FW06. Er errang zwar keinen Sieg, aber er stand siebenmal auf dem Podium, sodass er sich für seine Leistungen am Lenkrad keineswegs schämen musste.

Doch das genügte Agostini nicht. Er hatte sich an die oberste Stufe des Podiums gewöhnt. Die 1980er-Jahre führten ihn schließlich in ein neues Kapitel seiner Laufbahn im Motorradrennsport, nämlich das des Teambesitzers.

Für Ferrari hingegen wiederholte sich die Geschichte mit dem nächsten großen Star des Motorradrennsports: Valentino Rossi. Auch der Fahrer mit der Startnummer 46 wurde umworben, in die Formel 1 zu wechseln. Rossi absolvierte mehrere Testfahrten, wobei er sich manchmal sogar die Strecke mit Ferraris Formel-1-Piloten teilte, darunter Michael Schumacher und Fernando Alonso. Im direkten Vergleich musste sich Rossi für seine Rundenzeiten alles andere als schämen.

Aber wie Agostini vor ihm, so blieb auch Rossi lange Zeit dem Motorrad treu. Ernsthaft auf seine Karriere auf vier Rädern hat sich „The Doctor“ erst nach seinem Rücktritt aus der Motorrad-WM konzentriert. Heute fährt er Langstreckenrennen, hat im Le-Mans-Cup in der GT3-Wertung gewonnen und im Juli dieses Jahres auch seinen ersten Sieg in der GT-World-Challenge Europa (GTWC) errungen. 2024 fährt Rossi die komplette Saison der Langstrecken-WM (WEC) und damit erstmals auch bei den 24 Stunden von Le Mans.

Text von Lena Buffa, Übersetzung: Mario Fritzsch

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