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© GP-Fever.de – Kaum Unterstützung für den deutschen Nachwuchs: Stefan Bradl ist frustriert

Es ist ein altbekanntes Thema: Bereits seit Jahren stehen der Deutsche Automobil-Club (ADAC) und der Deutsche Motor Sport Bund (DMSB) in der Kritik, immer wieder beschweren sich Fahrer und Offizielle über die fehlende Unterstützung durch die beiden Organisationen.

Im exklusiven Interview mit ‚Motorsport-Total.com‘ richtet auch Stefan Bradl einige scharfe Worte in Richtung von ADAC und DMSB. Er glaubt, dass es um den Nachwuchs im deutschen Motorradsport aktuell extrem schlecht bestellt ist.

„Momentan stehen wir eigentlich sehr gut da. Wir haben in allen drei Grand-Prix-Klassen Fahrer. Jonas (Folger; Anm. d. Red.) gewann in diesem Jahr schon zwei Rennen. Das ist ziemlich gut. Jahrelang gab es keine deutschen Sieger. Wir sollten die Jahre nicht vergessen, in denen ich und Sandro (Cortese) die Meisterschaft gewonnen haben“, erklärt Bradl zunächst, geht anschließend allerdings zum Angriff über.

„Was den Nachwuchs angeht, haben wir ein großes Loch. Ich kann nicht verstehen, warum es um den Nachwuchs so schlecht bestellt ist“, ärgert sich Bradl und erklärt: „In Deutschland ist es schwieriger als in Spanien oder Italien, einfach mal auf einer Rennstrecke Gas zu geben. Die Kosten sind durch die hohen Standards bei uns vermutlich auch höher. Zudem haben wir gar nicht so viele Rennstrecken, auf denen man fahren kann. Die Lautstärkenlimitierungen erschweren es zusätzlich.“

„Ich bin Rookies-Cup gefahren und erhielt im KTM-Juniorteam eine Chance. Das war alles aus eigener Initiative. Ich habe nie eine Unterstützung vom ADAC oder vom DMSB erhalten“, berichtet Bradl und erklärt: „Das kam alles von meiner Familie. Ohne meinen Vater (Helmut Bradl, 250er-Vizeweltmeister 1991) wäre ich sicher kein MotoGP-Pilot. Grundsätzlich gibt es in Deutschland für den Nachwuchs keine Förderung.“

ADAC wehrt sich: „Das hat er offensichtlich vergessen“
„Ich kenne mich nicht so gut aus, weil ich mich nicht intensiv genug mit dem Thema befasse, aber ich frage mich: Was macht der ADAC? Was macht der DMSB?“ Kay-Oliver Langendorff, Leiter der Motorsport-Kommunikation des ADAC, erklärt auf Nachfrage von ‚Motorsport-Total.com‘: „Diese Aussagen haben uns überrascht. Stefan Bradl wurde vom ADAC unterstützt. Er hat seine Karriere im Rookies-Cup begonnen, der damals auch vom ADAC ausgerichtet wurde.“

„Danach ist er im vom ADAC unterstützten KTM-Team Deutscher Meister geworden. In seiner Jugendlichkeit hat er das offensichtlich vergessen“, wehrt sich Langendorff gegen Bradls Vorwürfe und ergänzt: „Wir haben die Moto3-Klasse in der IDM wiederbelebt. Im Rahmen des Motorrad-Grand-Prix am Sachsenring fuhr der Northern-Europe-Cup, den wir unterstützen. Seit vielen Jahren richten wir den ADAC-Junior-Cup aus, den wir zusammen mit KTM neu gestartet haben, um dem Nachwuchs eine Plattform zu geben.“

„Als Unterbau dazu gibt es den ADAC-Minibike-Cup und den Pocketbike-Cup. Die Plattformen sind da“, findet Langendorff und erklärt: „Wir haben aktuell sechs Deutsche in der Motorrad-WM. Sicher gab es schon einmal bessere Ergebnisse. Wir müssen aufpassen, dass eine neue Generation nachkommt. Wir haben erkannt, dass es da Defizite gibt. Deswegen haben wir uns bemüht, die Moto3 in der IDM wiederzubeleben. Doch das geht nicht von heute auf morgen.“

Bradl frustriert: „So macht es keinen Spaß“
Bradl selbst frustriert die aktuelle Situation dennoch. „In der IDM gibt es zum Glück wieder eine Moto3-Klasse. Das ist sehr wichtig, damit der Nachwuchs eine Chance hat“, erklärt der einzige deutsche MotoGP-Pilot, der sich nicht sicher ist, ob er selbst einmal aktiv bei der Nachwuchsarbeit helfen möchte: „Wenn etwas vorwärts geht, dann würde ich das nicht ausschließen. Doch es macht keinen Spaß, wenn nichts vorangeht wie in den vergangenen Jahren. Dann ergibt das keinen Sinn.“

„Man braucht die richtigen Leute und muss Ideen verwirklichen“, erklärt Bradl. „Die 125er-Klasse war die attraktivste Klasse, als ich in der IDM fuhr. Jetzt schauen alle auf die Superbike-Klasse. Das verstehe ich nicht ganz. Ich möchte nichts Schlechtes über die Fahrer sagen, aber in der Regel sind die Fahrer dort über 30 Jahre alt. Das ist sicher unterhaltsam, aber wenn wir deutschen Nachwuchs möchten, dann müssen wir uns um den Nachwuchs kümmern.“

„Die Superbike-Klasse ist bestimmt die unterhaltsamste Klasse und wichtig für die Zuschauerzahlen. Es gibt pro und contra. Zum Glück bin ich da nicht involviert. Ich hoffe, dass die Verantwortlichen vom ADAC und vom DMSB den Ernst der Lage erkennen und die Initiative ergreifen, um dem Nachwuchs den Motorradsport wieder schmackhaft zu machen“, so Bradl.

Welche Rolle spielen die Eltern?
Gleichzeitig sieht der ehemalige Moto2-Weltmeister die Verantwortung aber nicht nur bei den Verbänden. Er glaubt, dass vielen Nachwuchspiloten der nötige Arbeitseifer fehlt. „Ich frage mich, ob die Teenager überhaupt noch Interesse haben, Motorrad zu fahren. Ich habe den Eindruck, dass ein Smartphone mittlerweile deutlich wichtiger ist, als die Ausübung eines Hobbys“, vermutet Bradl.

„Motorradsport ist in Deutschland eine Randsportart. In der Region des Sachsenrings ist das vielleicht anders. Aber selbst aus dieser Region kommt kein Nachwuchs. Das verwundert mich. Die erfolgreichen Rennfahrer stammen nicht aus dieser Region. Steve Jenkner und Max Neukirchner waren die einzigen, die mir spontan einfallen. Doch diese Fahrer haben in der Weltmeisterschaft verglichen mit Sandro, Jonas, Marcel und Philipp nicht etablieren können. Der Sachsenring begeistert die Leute, doch es fehlt auch hier der Nachwuchs.“

„Wie viele Interessenten gibt es überhaupt, die davon träumen, es in die MotoGP zu schaffen? Ich glaube, so viele Kandidaten gibt es da nicht. Sonst würden es die Eltern doch besser fördern“, vermutet Bradl und ergänzt: „In anderen Sportarten ist es doch ähnlich. Wenn man keine Förderung genießt, dann muss man auch für die anfallenden Kosten selbst aufkommen. Man muss immer zuerst selbst die Initiative ergreifen.“

„Es gibt keine Garantie, dass man es in die MotoGP schafft. Man muss zuerst die anderen Klassen überstehen, die auch nicht so einfach zu meistern sind. Man muss Rückschläge verkraften können“, erklärt der 25-Jährige, der auch hier Nachwuchspiloten und vor allem Eltern in die Pflicht nimmt: „Hinzu kommt, dass die Eltern oft kritisch eingestellt sind und von den Gefahren abgeschreckt sind. Fußball und Tennis ist unterm Strich weniger gefährlich.“

Spanier und Italiener agieren ganz anders
„Zudem sind die Kosten nicht so hoch. Sicher ist es nachvollziehbar, dass wir Deutsche da mit unserer Vorsicht und Planerei gewisse Schwierigkeiten haben. Die Spanier und Italiener gehen da anders an die Sache heran. Sie begegnen dem Sport offener und denken nicht so sehr über die Zukunft nach. Die Mentalität des Deutschen ist anders. Die Deutschen wollen immer alles genau planen. Da es so viele Fragezeichen gibt, lassen es die Deutschen lieber sein und entscheiden sich für ein normales und geregeltes Leben.“

Die Spanier und Italiener seien dagegen in Sportarten wie dem Rennsport erfolgreicher, „weil sie sich weniger Gedanken machen und mehr Spaß haben. Sie fangen im jungen Alter an und die Eltern fördern den Sport, wenn ihre Kinder Spaß daran haben.“ Hinzu kommt, dass die MotoGP auch finanziell nicht ganz so lukrativ ist, sofern man es nicht zu einem der großen Hersteller schafft.

„Das hängt ganz davon ab, wie erfolgreich man ist. Ich verdiene sicher nicht schlecht, kann aber nicht sagen, ob es bis ans Lebensende reicht“, erklärt Bradl und ergänzt: „Ich weiß nicht, wie lange ich unter welchen Umständen noch fahre. Seit den Erfolgen in der Moto2 habe ich gut verdient. Ich erhielt ordentliche Prämien. In der MotoGP reicht es auch, um sich über Wasser zu halten.“

„Doch man hat damit sicher nicht ausgesorgt. Die Topteams zahlen anständig, doch in den Satelliten-Teams muss man schon große Einschnitte verkraften. Die Teams müssen schauen, dass sie genug Sponsoren haben“, erklärt Bradl, der noch keinen Vertrag für die Saison 2016 besitzt. Wenn es ganz schlecht läuft, könnte Deutschland im kommenden Jahr also ohne einen Piloten in der MotoGP dastehen.

Text von Zimmermann, Dirnbeck & Fränzschky

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