Francesco Bagnaia - © Motorsport Images

© Motorsport Images – MotoGP-Weltmeister 2022: Ducati-Pilot Francesco „Pecco“ Bagnaia

(Motorsport-Total.com) – Francesco „Pecco“ Bagnaia hat es tatsächlich geschafft und seine sagenhafte Aufholjagd, die er im Verlauf der MotoGP-Saison 2022 hingelegt hat, mit dem WM-Titel gekrönt.

Beim Saisonfinale, dem Grand Prix von Valencia auf dem Circuit Ricardo Tormo, genügte Bagnaia am Sonntag nach einem für ihn schwierigen Rennverlauf der neunte Platz, um erstmals MotoGP-Weltmeister zu werden.

Zum ersten Mal seit fünf Jahren fiel die Entscheidung um den Fahrertitel in der MotoGP-Klasse erst beim Saisonfinale. Aber die Aussichten, dass Fabio Quartararo die erfolgreiche Verteidigung seines WM-Titels von 2021 gelingen würde, waren gering. Der Yamaha-Pilot hätte sich nur mit dem Sieg in Valencia überhaupt noch die Chance auf den Titelgewinn 2022 erhalten.

Weil aber Quartararo nach starkem Rennen „nur“ Vierter wurde, war klar, dass es egal ist, wo Bagnaia abschneidet. Und weil der Ducati-Pilot wiederum auf P9 ins Ziel kam, beträgt der Punkteunterschied zwischen den beiden nach 20 Saisonrennen letztlich 17 Punkte.

„Ich bin sehr glücklich, auch deshalb, weil mir das schwierigste Rennen der Saison letzten Endes einen süßen Geschmack hinterlassen hat“, so Bagnaias erste Worte in der eigens angesetzten Weltmeister-Pressekonferenz am Sonntag in Valencia.

„Albtraum“-Finale nach früher Kollision mit Quartararo
„Als ich die Ziellinie überquerte, sah ich die Boxentafel, auf der stand, dass ich Weltmeister geworden bin. Da ist mir eine Last von den Schultern gefallen. Die Emotionen sind überwältigend, denn es war nicht einfach“, gibt Bagnaia zu. Damit bezieht sich der neue Weltmeister nicht zuletzt auf eine Kollision. Denn in der zweiten Rennrunde war er ausgerechnet mit WM-Konkurrent Quartararo aneinandergeraten.

Bei der Berührung der beiden Bikes ausgangs Kurve 2 flog ein Winglet von der rechten Seite von Bagnaias Ducati GP22 davon. Der nachfolgende Brad Binder konnte dem Teil nur deshalb knapp ausweichen, weil er sich hinter der Windschutzscheibe seiner KTM klein machte. Anderenfalls hätte das Teil Binder womöglich am Helm getroffen.

Bagnaia erinnert sich: „Im Kampf mit Fabio habe ich ein Winglet verloren. Von von da an war das Rennen ein Albtraum. Jede Runde habe ich mich so gut es ging verteidigt, aber es war sehr schwierig. Das Rennen war unglaublich lang. Aber ich bin sehr stolz auf das, was ich mit meinem Team erreicht habe. Es ist fantastisch.“

Bagnaia erlöst Ducati und Italien nach langen Durststrecken
Während es für „Pecco“ Bagnaia der erste WM-Titel in der Königsklasse der Motorrad-WM ist, ist es für Ducati auf dieser Bühne der erste seit 15 Jahren. Den zuvor einzigen MotoGP-Titel für den italienischen Hersteller hatte Casey Stoner in der Saison 2007 eingefahren. Dazwischen lagen 5.524 Tage.

Und abgesehen vom WM-Titel, den Carlos Checa in der Saison 2011 in der Superbike-WM errungen hat, ist man bei Ducati seither einem weiteren Titel hinterhergefahren. Von dieser Durststrecke ist die Truppe aus Bologna nun erlöst. Und weil Alvaro Bautista gegenwärtig die Gesamtwertung der Superbike-WM 2022 klar anführt, könnte es in diesem Jahr sogar doppelten Ducati-Titeljubel geben. Am Sonntag in Valencia wurde der MotoGP-Titel fixiert.

„Ich habe viele viele Leute weinen gesehen. Das war etwas, was ich in dieser Form nie zuvor erlebt habe“, erinnert sich Weltmeister Bagnaia an die Szenen im Parc Ferme und in Ducati-Box, nachdem er von seiner Ehrenrunde zurückgekommen war.

„Ich spürte die Last auf meinen Schultern, den Leuten bei Ducati und in Italien diesen WM-Titel zu schenken. Einfach war es nicht“, sagt Bagnaia, der noch während seiner laufenden Weltmeister-Pressekonferenz von seiner Ducati-Crew überfallen wurde.

Aber nicht nur für Ducati, sondern für die gesamte Motorradnation Italien ist Bagnaias WM-Titel eine Erlösung. Der vor „Pecco“ letzte italienische Weltmeister in der Königsklasse war dessen Mentor Valentino Rossi in der Saison 2009.

Und dass vor Bagnaia auf Ducati zuletzt ein Italiener auf einem italienischen Bike den WM-Titel in der Königsklasse errang, das ist sogar ganze 50 Jahre her. 1972 war es der legendäre Giacomo Agostini auf MV Agusta. „Ago“ war am Finalwochenende 2022 in Valencia ebenso vor Ort wie Rossi.

Bagnaia dankt Mentor Valentino Rossi
„Als ich gestern mit Valentino gesprochen habe, sagte er mir, dass ich stolz sein soll, in dieser Position zu sein“, so Bagnaia und weiter: „Das ist ein Gefühl, das nicht jeder kennt. Du spürst den Druck, du spürst die Angst und du spürst, wie alle Augen auf dich gerichtet sind.“

„Da sagte er zu mir, dass ich trotz allem versuchen muss, das Rennen zu genießen. Das habe ich versucht. Aber ehrlich gesagt ist mir das heute nicht sonderlich gut gelungen. Dass es doch zu diesem Meilenstein gereicht hat, das habe ich meinem Mentor zu verdanken“, so Bagnaia mit Verweis auf Rossi.

Die Freude ist gegenseitig. Denn jetzt ist „Pecco“ nicht nur wie einst „Il Dottore“ ein MotoGP-Weltmeister. Er ist auch der erste MotoGP-Weltmeister überhaupt, der sein Handwerk in der von Rossi gegründeten VR46-Akademie gelernt hat. Bagnaias erster großer Meilenstein auf diesem Weg war sein Moto2-Titel in der Saison 2018. Vier Jahre später ist der jetzt 25-jährige Italiener am vorläufigen Gipfel seiner Karriere angekommen.

„Der schwierigste Moment war der Sachsenring“
Bagnaias Saison 2022 stand im Zeichen seiner schier sensationellen Aufholjagd. Sicher, die Ducati war in diesem Jahr das beste und stärkste Bike im Feld. Aber nach dem Grand Prix von Deutschland auf dem Sachsenring, dem Halbzeitpunkt der Saison, hatte Bagnaia als Sechster der WM-Tabelle satte 91 Punkte Rückstand auf Quartararo. Dass er das Blatt im Titelkampf noch drehen würde, war nicht zu erwarten.

„Der schwierigste Moment war der Sachsenring“, denkt Bagnaia zurück. „Ich war sehr konkurrenzfähig, genau wie in Le Mans, wo ich das Rennen hätte gewinnen können. In beiden Fällen aber bin ich gestürzt. Das war zu dieser Zeit mein Schwachpunkt. Ich war ein schneller Fahrer, aber ich war nicht konstant genug.“

„Es war nicht einfach, das zu akzeptieren, aber von diesem Moment an [auf dem Sachsenring] habe ich erkannt, dass ich ein Problem hatte. Ich habe versucht, mich zu verbessern. Das ist mir gelungen, auch dank der Leute zu Hause, die mir geholfen haben. Selbst in diesen Tagen jetzt waren sie für mich da. Letzten Endes glaube ich, dass ich in dieser Saison einige große Schritte vorangekommen bin“, so der neue Weltmeister.

„Vor ein paar Rennen“, so Bagnaia in Valencia, „habe ich gesagt, dass ich direkt nach dem Sachsenring-Rennen den Glauben an den WM-Titel für eine halbe oder eine Stunde verloren hatte. Dann aber habe ich erkannt, dass es noch eine kleine Chance gibt.“

„Wir haben in dieser Saison so hart gearbeitet, es ist unglaublich. Wir haben in der zweiten Saisonhälfte sehr gut gearbeitet, analysiert und versucht herauszufinden, warum ich gestürzt bin und warum ich Fehler gemacht habe. Wir haben eine tolle Serie hingelegt und ich denke, wir haben diesen Titel verdient.“

In der Tat war Bagnaias Serie in der zweiten Saisonhälfte schwer beeindruckend. Fünf seiner sieben Siege in diesem Jahr sind ihm in der zweiten Saisonhälfte gelungen – vier davon in ununterbrochener Reihenfolge direkt im Anschluss an den Sachsenring-Sturz.

Und nachdem Bagnaia bei Halbzeit der Saison noch 91 Punkte Rückstand hatte, ging er ins Saisonfinale in Valencia mit einem komfortablen Vorsprung von 23 Punkten. Von diesen 23 Punkten hat er am Sonntag nur noch sechs eingebüßt und Quartararo damit als MotoGP-Weltmeister abgelöst.

Regenrennen in Buriram der Schlüssel zum WM-Titel
Als das rückblickend entscheidende Rennen im Zuge seiner Aufholjagd bezeichnet Bagnaia jenes am 2. Oktober in Buriram: „Ab Thailand habe ich daran geglaubt, dass es klappen kann. Es war ein sehr schwieriges Rennen im Regen. Auf nasser Piste hatte ich mich oft schwergetan. Dort aber habe ich alles versucht, um es auf das Podium zu schaffen.“ Und das ist ihm gelungen.

Während Bagnaia im Regen von Buriram den dritten Platz belegte, blieb Quartararo aufgrund einer falschen Reifendruck-Einstellung an seiner Yamaha ohne WM-Punkte. Beim nächsten Rennen – dem Grand Prix von Australien auf Phillip Island – wo Quartararo aufgrund eines Sturzes erneut ohne Punkte blieb, ging die WM-Führung an Bagnaia über. Von da an hat sie der Ducati-Pilot nicht mehr abgegeben.

„Ich habe in diesem Jahr habe immer viel Druck gespürt“, sagt Bagnaia und hebt dabei vor allem die engen Duelle mit Ducati-Markenkollege Enea Bastianini in Le Mans, Misano, Aragon und Sepang hervor: „Enea war häufiger hinter mir und hat versucht, mich zu überholen. Nach Le Mans wollte ich mich verbessern und das habe ich getan.“

„Wenn du in der letzten Runde jemanden hinter dir hast, kannst du sehr leicht die Konzentration verlieren. Aber wir arbeiten auf der Ranch [der VR46-Akademie] immer zusammen. Jedes Wochenende auf der Ranch kämpfe ich mit anderen Fahrern und wir machen uns selbst viel Druck. Auch das hat geholfen“, bekennt der neue Weltmeister.

Bagnaia lobt Quartararo: „Er ist immer noch kompletter als ich“
Jetzt, da er ein Jahr nach Quartararo ebenfalls MotoGP-Weltmeister geworden ist, wie schätzt sich Bagnaia im direkten Vergleich mit seinem Vorgänger ein? Auch hier denkt er wieder an das Wochenende des Grand Prix von Deutschland zurück.

„Am Sachsenring habe ich gesagt, dass Fabio kompletter ist als ich. Das denke ich immer noch. Er verliert nie seine Fassung und seinen Siegeswillen. Er hatte in dieser Saison definitiv das langsamere Motorrad“, so Bagnaia.

„Ich habe den Titel gewonnen, weil die Ducati sehr stark war. Ich war mehr oder weniger immer der schnellste Ducati-Pilot. Aber mit einer langsameren Maschine, die mehr Probleme bereitet, hat er eine sehr gute Leistung gezeigt. Er hat gekämpft“, lobt der neue MotoGP-Weltmeister seinen Vorgänger.

„Fabio ist sehr komplett, aber ich habe mich in dieser Saison wirklich stark verbessert. Ich habe mich als Fahrer und als Mensch weiterentwickelt. Ich habe jetzt ein besseres Verständnis für die Gesamtsituation. Auch die Arbeit in der Box hat sich verbessert. Mein Niveau ist gestiegen und ich hoffe, dass ich so weitermachen kann“, so Bagnaia.

Bagnaias persönliches Motto lautet „Go Free“. Dieses Motto trägt er seit Jahren als #GoFree auf dem Rücken seiner Lederkombi. Und eben dieses Motto hat er am Sonntag in Valencia in die Tat umgesetzt: „Ich spüre jetzt, dass der Job für dieses Jahr erledigt ist. Und deshalb fühle ich mich für dieses Jahr frei. Ja, das ist so.“

Text von Mario Fritzsche

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