Barcelona Crash - © LAT

© LAT – Der Aufreger des Katalonien-GP 2019 in Barcelona: Vierer-Crash in Kurve 10

(Motorsport-Total.com) – Der Vierfach-Sturz mit Jorge Lorenzo, Andrea Dovizioso, Maverick Vinales und Valentino Rossi in der zweiten Runde des Grand Prix von Katalonien 2019 in Barcelona ist das große Thema, das den vierten Saisonsieg von Marc Marquez in den Schatten stellt.

Auch Fabio Quartararos erster Podestplatz in der MotoGP-Klasse und Danilo Petruccis dritter Podestplatz in Folge gehen im sportlichen Drama um die vier gestürzten Top-Piloten am Sonntag unter.

Auslöser des Crashs war Lorenzo, dem in der zweiten Runde beim Anbremsen der engen Kurve 10 am Ende der Gegengerade das Vorderrad einklappte. Zu diesem Zeitpunkte kämpfte der von P10 gestartete Honda-Werkspilot in der Spitzengruppe, hatte er sich doch schon im Verlauf der ersten fünf Kurven bis an die fünfte Position nach vorn gefahren.

Bei der Anfahrt zu Kurve 10 der zweiten Runde lag Lorenzo an vierter Stelle hinter Dovizioso, Marquez und Vinales. Während sich Marquez beim Anbremsen neben Dovizioso setzte und damit in Führung ging, griff Lorenzo direkt dahinter Vinales an, um an die dritte Stelle nach vorn zu gehen. Dabei rutschte ihm das Vorderrad weg und es kam zur Kettenreaktion.

Lorenzos Honda rutschte in die Ducati von Dovizioso und erwischte auch noch die Yamaha von Vinales, der die Kurve auf der Außenbahn anfuhr. Der nachfolgende Rossi konnte nicht ausweichen und wurde nach Kollision mit Lorenzos auf dem Asphalt rutschender Honda ebenfalls zu Fall gebracht. Sowohl für Lorenzo als auch für Dovizioso, Vinales und Rossi war das Rennen zu Ende, bevor es so richtig begonnen hatte.

Lorenzo, der trotz anderslautender Forderung von Dovizioso und vor allem von Vinales ohne Strafe davongekommen ist, nahm in seiner ersten Reaktion noch während des Rennens die Schuld auf sich. Er wies aber auch darauf hin, dass Kurve 10, seit man diese in der engen Formel-1-Variante befährt, eine äußerst tückische Angelegenheit für die MotoGP-Piloten ist.

„Es ist eine knifflige Kurve. Das habe ich schon immer gesagt“, so Lorenzos erstes Statement gegenüber ‚MotoGP.com‘. „Wenn man in dieser engen Haarnadel zu spät bremst, gibt es nicht viele Optionen. Leider habe ich Valentino, Andrea und Maverick mit aus dem Rennen genommen. Es tut mir wirklich sehr leid für sie, denn es war nicht ihre Schuld. Es war mein Fehler, aber so wie diese Kurve angelegt ist, fällt es sehr schwer, dort im gesamten Rennen keinen Fehler zu machen.“

Jorge Lorenzo „Ich war wohl ein bisschen zu ehrgeizig“
In seiner Medienrunde einige Stunden nach Rennende bekräftigt Lorenzo seinen Standpunkt und entschuldigt sich abermals bei allen Beteiligten: „Ich habe wahrscheinlich im falschen Moment an der falschen Stelle versucht, Maverick zu überholen. Mir war bewusst, dass diese Kurve eine tückische ist, ganz ähnlich der ersten Kurve in Austin. In dieser Kurve hier [in Barcelona] habe ich im Laufe der Jahre in allen Klassen viele Stürze gesehen. Mir selbst ist es 2016 mit Iannone so ergangen. Ich sage es mal so: Diese Art von Kurve hat schon in der Vergangenheit für viele Probleme gesorgt und das wird auch in Zukunft so sein.“

Ungeachtet dessen räumt Lorenzo seinen Fehler ein: „Ich war wohl ein bisschen zu ehrgeizig, weil ich ein gutes Gefühl hatte und spürte, dass ich schnell nach vorne komme. Mein Bremsvorgang war nicht verrückt. Ich lag mehr oder weniger auf gleicher Höhe mit Maverick und bremste recht normal.“

„Das Problem war“, erklärt Lorenzo, „dass direkt vor uns zu viele Fahrer waren und sich ‚Dovi‘ sehr gut auf den Ausgang der Kurve vorbereitete. Er machte die Linie auf und dadurch kam ich schnell näher. Um ihn nicht direkt zu treffen, musste ich die Vorderradbremse stärker ziehen und dabei ist mir das Vorderrad weggerutscht.“

„Ich glaube, in einer anderen Kurve wäre es anders ausgegangen“, so Lorenzo weiter, „und das gilt auch, wenn ich dieses Überholmanöver in diesem Moment nicht probiert hätte. Letzten Endes war es eine Kombination von Faktoren. Das, was unterm Strich steht, ist nicht mein Sturz, sondern die Tatsache, dass ich drei andere Fahrer, die um den Titel kämpfen, zu Fall gebracht habe. Ich selbst kämpfe nicht um den Titel. Ich liege weit zurück, denn ich habe so gut wie keine Punkte. Ob ich stürze oder nicht, spielt keine Rolle.“

Direkt nach dem Zwischenfall suchte Lorenzo das Gespräch mit den anderen drei Beteiligten, traf aber nicht alle für eine Entschuldigung an: „Ich ging zuerst zu Ducati und habe mich bei Gigi [Dall’Igna] entschuldigt. Als ich die Box betrat, habe ich mich auch bei ‚Dovi‘ entschuldigt. Dann ging ich zu Yamaha, um mit ‚Vale‘ und Maverick zu reden. Sie waren aber nicht da, also sprach ich mit Maio [Meregalli] und dann noch mit Mavericks‘ Chefmechaniker und ein paar anderen Leuten. Mit den Fahrern konnte ich aber nicht sprechen.“

Was sagen nun Lorenzos Konkurrenten zum Zwischenfall?

Andrea Dovizioso: „Jorge war nicht ganz klar bei Verstand“
Ducati-Pilot Andrea Dovizioso, dessen Rückstand auf Marc Marquez im Titelkampf durch den Sturz beim gleichzeitigen Sieg für Marquez von zwölf auf 37 Punkte angewachsen ist, äußert sich wie folgt: „Es ist ziemlich offensichtlich, was passiert ist. Jorge war in einer guten Position, nachdem er beim Start viele Plätze gutgemacht hatte. Vom Tempo her war er nicht allzu weit weg und deshalb wollte er von Beginn an attackieren. Dann aber ist ihm ein großer Fehler unterlaufen.“

„In dieser Kurve ist ein Fehler schnell mal passiert“, bemerkt Dovizioso, „denn sie wird im ersten Gang gefahren. Das bedeutet, dass ein kleiner Fehler schnell mal zu einem großen werden kann. Er [Lorenzo] war in diesem Moment nicht ganz klar bei Verstand, denn er bremste, um Maverick zu überholen. Er hat dabei aber nicht darauf geachtet, wo er bremste, weil auch Maverick spät bremste. Er bremste dann noch später als Maverick und war somit zu schnell für diese Kurve, denn er war ganz innen.“

Auf die Frage, ob es ein Rennunfall war oder ob es eine Strafe gegen Lorenzo geben müsste, antwortet Dovizioso: „Rein aus Fahrersicht war der Fehler, den er begangen hat, kein großer. Der Fehler war einfach, dass er es in dieser Kurve in der zweiten Runde versucht hat. So gesehen war es für einen fünfmaligen Weltmeister schon ein großer Fehler, der noch dazu große Auswirkungen auf die Weltmeisterschaft hat, weil viele um den Titel kämpfende Fahrer ein weitere Nullnummer geschrieben haben und Marc gleichzeitig gewonnen hat.“

Lorenzos übermotiviertes, weil seiner Ansicht nach zu früh vollzogenes Manöver, bezeichnet „Dovi“ als „Grund, weshalb die ganze Situation überhaupt entstanden ist. Es war nicht, weil Jorge nicht gut auf der Bremse wäre oder er nicht in der Lage wäre, seine Bremse richtig zu dosieren“. Weil er aber bereits in der zweiten Runde eines 24-Runden-Rennens in der ohnehin als tückisch bekannten Kurve 10 attackiert hat, hätte Lorenzo laut Dovizioso „eine Strafe verdient“.

Maverick Vinales zeigt den Stinkefinger und teilt verbal aus
Maverick Vinales drückt sich noch deutlicher aus als Dovizioso. Der spanische Yamaha-Pilot zeigte seinem Landsmann in Honda-Diensten noch an Ort und Stelle den gestreckten Mittelfinger und geht in seiner Medienrunde verbal hart mit Lorenzo ins Gericht.

„Ich sah ihn auf der Innenbahn kommen“, so Vinales, „und ich wollte selbst noch einen Zusammenstoß verhindern. Doch eines der Bikes (jenes von Lorenzo; Anm. d. Red.) berührte meinen Hinterreifen und ich flog durch die Luft. Ich hatte versucht, den Crash zu vermeiden, aber das war nicht möglich“.

„Ja klar, diese Kurve ist grundsätzlich schwierig, aber hey, wenn einer schon in der ersten Runde an vierter Stelle liegt, kann er mich auch auf der Geraden überholen, denn dort sind wir langsam. Er hätte nur vier Kurven warten müssen, um mich zu überholen“, wirft auch Vinales mit der Topspeed-schwachen Yamaha dem Honda-Piloten Lorenzo das vor, was diesem auch von Dovizioso vorgeworfen wird.

Und so hat Vinales wenig Schmeichelhaftes für Lorenzo übrig: „Ich weiß nicht, aber für mich sieht das wie ein Rookie-Fehler aus. Dabei ist er doch ein fünfmaliger Weltmeister. Manchmal müssen wir auf dem Motorrad auch den Kopf einschalten. Er mag ein großartiger Fahrer sein und viel Talent haben, aber man kann ein Rennen nicht in der zweiten Runde gewinnen. Das Rennen ging über 24 Runden und mit der Motorleistung, die er zur Verfügung hat, kann er mich auf der Geraden überholen anstatt in dieser Kurve.“

Valentino Rossi: Kein Vorwurf an Lorenzo, aber Ärger und Schmerzen
Und was sagt Valentino Rossi, der als direkt Nachfolgender nicht mehr ausweichen konnte und deshalb zu Fall kam, weil er auf die fahrerlos in Richtung Auslaufzone rutschende Honda von Lorenzo aufgefahren ist?

„Es ist jammerschade“, so Rossi, „denn ich hatte heute ein richtig gutes Gefühl. Wir hatten bis dahin ein gutes Wochenende. Gestern Abend saßen wir bis 21:00 Uhr zusammen, um die richtige Reifenwahl zu treffen. Und ich glaube, wir haben die richtige getroffen (Soft vorne, Medium hinten; Anm. d. Red.). Ich glaube, ich hätte um das Podest mitkämpfen können.“

„Ich lag hinter Petrucci und war schneller als er“, so Rossi weiter. „Ich wollte ihn überholen, setze meinen Angriff aber im falschen Moment, denn ich kam zu schnell in Kurve 10 an. Als ich dann den Crash direkt vor mir sah, konnte ich dem Motorrad von Jorge nicht mehr ausweichen. Ich versuchte noch, einen Sturz zu vermeiden, aber das Bike rutschte zwischen meine Reifen und so bin ich auch gestürzt. Mir tut der Knöchel ein bisschen weh, weil mein Fuß zwischen den beiden Bikes hängenblieb. Aber es ist wie es ist. Das ist Racing und so etwas passiert von Zeit zu Zeit.“

Soweit die Reaktionen der direkt am Crash beteiligten Piloten. Abgesehen davon haben aber auch Marc Marquez und Danilo Petrucci, die direkt davor beziehungsweise direkt dahinter lagen, eine Meinung zum Zwischenfall. Und auch Jack Miller, der direkt hinter Petrucci lag, äußerst sich, wobei der Australier ähnlich wie Vinales hart mit Lorenzo ins Gericht geht.

Marc Marquez: Lorenzo „war nicht außer Kontrolle“
Lorenzos Honda-Teamkollege Marc Marquez kam bei besagtem Vierfach-Sturz gerade so unbeteiligt davon und fuhr anschließend souverän seinen vierten Saisonsieg ein, mit dem er seine Tabellenführung auf Dovizioso von zwölf auf nun 37 Punkte Vorsprung ausgebaut hat.

„Ich habe es erst im Ziel realisiert und gesehen, dass ‚Dovi‘ aus dem Rennen war. Das war für mich der Fokus, denn er ist mein stärkster Gegner in der WM“, so Marquez und weiter: „Inzwischen habe ich die Wiederholung des Zwischenfalls gesehen. Klar, die Leute werden sagen, es war allein Lorenzos Schuld.“

„Wenn man sich die Szene aber genau anschaut, war es nicht so, dass er außer Kontrolle gewesen wäre“, so Marquez über Lorenzo und weiter: „Ich hatte Glück, weil ich gerade an ‚Dovi‘ vorbeiging. ‚Dovi‘ war nicht auf der Ideallinie, Vinales war noch weiter außen. Jorge hatte die richtige Linie, aber leider ist ihm das Vorderrad weggerutscht. Es war einfach eine unglückliche Situation und ich selbst hatte dabei Glück.“

Danilo Petrucci: „Lorenzo war sehr aggressiv unterwegs“
Danilo Petrucci, der das Rennen als Dritter beendete, war beim Crash direkter Zuschauer. „Ich merkte, wie Lorenzo sehr aggressiv unterwegs war, auch im Zweikampf mit mir. In der zweiten Runde bremste ich in Kurve 10 extrem stark ab. Lorenzo bremste gleichzeitig, lag aber knapp vor mir. Er nahm das Tempo noch mit in die Kurve hinein.“

„Im selben Moment ging Rossi an mir vorbei“, so Petrucci weiter: „Was dann passierte, habe ich nicht genau gesehen. Ich weiß nur, dass vier Fahrer gestürzt sind. Ich konnte nicht sehen, ob Valentino von jemandem getroffen wurde oder ob er selbst jemanden getroffen hat. Was ich gesehen habe war, dass Lorenzo Maverick erwischt hat. Ich selbst kam irgendwie vorbei und lag auf einmal an zweiter Stelle.“

Jack Miller: „Jorge hatte einfach einen Aussetzer“
Ein weiterer direkter Zuschauer war Jack Miller. Der Pramac-Pilot lag zum Zeitpunkt des Crashs zwei Positionen hinter der gestürzten Vierergruppe, weil er direkt hinter Petrucci fuhr. „Ich habe alles gesehen“, so Miller, um mit Blick auf Lorenzo anzumerken: „Ich sah, wie er auf der Geraden in Richtung der weißen Linie zog und dachte mir: ‚Jetzt wird es interessant.'“

„Ich habe dann quasi darauf gewartet. Er war so schnell und bremste mit vollem Tank so spät. Auch Rossi war recht spät dran. Er wäre sonst wahrscheinlich nicht gestürzt, aber er orientierte sich an Jorges Bremspunkt. Ich selbst bog als Siebter in diese Kurve ein und kam als Dritter heraus. Ich glaube, Jorge hatte einfach einen Aussetzer“, so Millers Urteil.

Vinales hätte Strafe gegen Lorenzo begrüßt, aber die bleibt aus
Vinales, der nach dem Qualifying aufgrund seiner versehentlichen Behinderung von Fabio Quartararo eine Rückversetzung um drei Startplätze kassiert hat, hätte es begrüßt, wenn Lorenzo als Auslöser des Vierfach-Sturzes bestraft worden wäre.

„Er hat vier Fahrer aus dem Rennen gerissen. Wenn er irgendwie nur mich und Valentino rausgerissen hätte, wäre es ein Rennunfall gewesen, aber nicht so wild, weil wir nicht um den Titel kämpfen. Er hat aber auch Andrea erwischt, der um den Titel kämpft. Er hat heute mein Rennen und das von Valentino zerstört und er hat Doviziosos WM-Chancen ein bisschen zerstört, denn 25 Punkte aufzuholen, ist ziemlich schwierig.“

„Ich hoffe, die Rennleitung ist streng zu ihm, so wie sie es gestern zu mir war“, so Vinales, um auf die Frage, was seiner Meinung nach eine angemessene Strafe gegen Lorenzo wäre, ohne zu zögern zu antworten: „Letzter in der Startaufstellung.“

Die Rennleitung rund um Freddie Spencer hat im Falle von Lorenzo aber von einer Strafe abgesehen. Der einzige, der nach dem MotoGP-Rennen in Barcelona 2019 bestraft wurde, ist Bradley Smith für seine Kollision mit Aprilia-Teamkollege Aleix Espargaro, die ebenfalls in Kurve 10 exakt eine Runde vor dem prominenten Vierfach-Sturz passiert war.

Barcelona 2019 Ergebnisse MotoGP:

MotoGP Barcelona 2019 - © www.motogp.com

Text von M. Fritzsche, Co-Autoren: O. Puigdemont, V. Khorounzhiy

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